Zahnärztliche Mitteilungen Nr. 07

zm 110, Nr. 7, 1.4.2020, (691) DISKUSSION Die Studienautoren haben die sechs Hauptargumente gegen Milchprodukte nach dentoalveolär-chirurgischen Ein- griffen zusammengetragen und disku- tiert. Im Folgenden ist die ausführliche Diskussion der Studie in aller Kürze zusammengefasst. \ Milchprodukte könnten die Wirksamkeit von Antibiotika beeinträchtigen. Bei Tetrazyklinen und Chinolonen kommt es über eine Komplexbildung mit dem Kalzium der Milch zu einer geringeren Aufnahme im Magen-Darm- Trakt und damit zu einer geringeren Wirksamkeit des Antibiotikums. Doch beide Wirkstoffe sind keine Antibiotika der 1. Wahl nach chirurgischen Ein- griffen in der Mundhöhle. Häufiger verschreiben Kollegen Amoxicillin und Clindamycin. Hier spielt die Interaktion mit Milchprodukten keine Rolle. \ Rohmilch könnte zu einer Infektion mit Tuberkulose führen. Diese Gefahr besteht in Deutschland nicht mehr. Die Rinderbestände sind zu 99,9 Prozent nicht befallen und gelten daher amtlich seit 1997 als tuberkulosefrei. Zudem ist aufgrund von Pasteurisierung und Ultrahoch- erhitzung die Gefahr einer Infektion sowieso nicht gegeben, denn die beiden Verfahren töten alle pathogenen Keime ab auch Mycobacterium tuberculosis. \ Milchsäurebakterien könnten die Wundheilung beeinträchtigen. Milch ist ein gutes Nährmedium für Bakterienkolonien, demzufolge auch für pathogene Bakterien. Allerdings zeigte eine In-vivo-Studie [Schutt et al., 2014], dass die bakterielle Zusammen- setzung in der Mundhöhle nach Milchkonsum bei gesunden Proban- den unverändert ist, so wie auch nach chirurgischen Eingriffen. Daher könnte dieses Argument nur bei schwer immun- supprimierten Patienten zählen. \ Die Koagelbildung könnte gestört werden. In der Milch befindet sich zwar fibrinolytisches Plasminogen, das ab einer gewissen Konzentration Blut- gerinnsel auflösen kann. Allerdings ist die Konzentration im Blut (also auch im Koagel selbst ) 100- bis 1000-fach so hoch wie in Milch. Daher dürften die Konzentrationen des Enzyms in der Milch vernachlässigbar sein. \ Die Milch könnte mit resorbierbaren Fäden reagieren. Dieses Argument zielt einerseits auf die Dochtwirkung von polyfilem Nahtmaterial ab. Das Problem, dass Bakterien aufgrund des „Wasser- ziehens“ ins Nahtmaterial vordringen könnten, besteht nicht nur bei Milch und Milchprodukten, sondern auch bei vielen anderen kohlenhydrathaltigen Lebensmitteln. Andererseits findet der hydrolytische Abbau von synthetischem resorbier- barem Nahtmaterial im Alkalischen statt, und nicht im Physiologischen oder Sauren [Chu und Moncrief, 1983]. Resorbierbare Nähte haben es grundsätzlich einfach an sich, dass sie einen schnellen Verlust an Reißfestig- keit aufweisen, egal ob mit oder ohne Milchprodukte. \ Milch und Milchprodukte könnten das Infektionsrisiko erhöhen. Wie bereits dargelegt, konnten Schutt et al. 2014 zeigen, dass die bakterielle Zusammensetzung in der Mundhöhle nach Milchkonsum bei gesunden Pro- banden unverändert ist, so wie auch nach chirurgischen Eingriffen. Weitere Hinweise, dass Milchkonsum die Infektionsgefahr nach dentoalveolär- chirurgischen Eingriffen erhöht, fin- den sich bis dato in der Literatur nicht. FAZIT Die Empfehlung nach Dentoalveolär- Chirurgie auf Milchprodukte zu ver- zichten, sollte kritisch hinterfragt wer- den, sie lässt sich nicht evidenzbasiert belegen, noch hält sie einer kritischen Überprüfung der Argumente dafür stand. Dr. Kerstin Albrecht Quelle: S. Seyedi Moghaddam, A. Neff: Wie halten Sie es mit Milchprodukten nach dentoalveolär-chirurgischen Eingriffen: Erlaubt oder nicht? MKG-Chirurg 2020, 13:55–60 https://doi.org/10.1007/s12285– 019–00238–1 ZM-LESERSERVICE Die Literaturliste kann auf www.zm-online.de abgerufen oder in der Redaktion ange- fordert werden. ZAHNMEDIZIN | 49

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