Zahnärztliche Mitteilungen Nr. 07

zm 110, Nr. 7, 1.4.2020, (716) ZM-SERIE: TÄTER UND VERFOLGTE IM „DRITTEN REICH“ Ernst Stuck – sein Handeln bleibt ohne Folgen Dominik Groß Ernst Johannes Stuck ging als „Reichszahnärzteführer“ in die Geschichte der deutschen Zahnheilkunde ein. Damit war er im „Dritten Reich“ nicht nur der höchste Repräsentant der Zahnärzteschaft, sondern zugleich für die nationalsozialistische Gleichschaltung verantwortlich. W er war dieser Mann, wie war sein Karriereweg und was machte ihn zum Täter? 1 Stuck wurde am 19. Dezember 1893 in Grünhain im Erzgebirge geboren. Hier verbrachte er allerdings nur die ersten Lebensjahre, denn sein Vater – der beamtete Postsekretär Karl Ernst Stuck (1861–1939) – wurde schon 1895 nach Augustusberg und 1902 nach Hilbers- dorf bei Chemnitz versetzt. In Chem- nitz besuchte Ernst Stuck auch das Gymnasium, legte im März 1914 das Abitur ab und schrieb sich einen Monat später an der Universität Greifs- wald für das Studium der Theologie ein. Wenig später meldete er sich als Freiwilliger zum Kriegsdienst mit Stationierungen in Riesa und Fulda. Er wurde zum Leutnant befördert und schied erst Ende 1918 aus dem Dienst aus. Nach dem Krieg nahm er das Theo- logiestudium in Greifswald wieder auf, wechselte jedoch nach wenigen Monaten Studienfach und -ort: Im Dezember 1918 immatrikulierte er sich in Leipzig für das Studium der Zahn- heilkunde und schloss es nach knapp zwei Jahren – im Oktober 1920 – ab. Im März 1921 konnte er dann seine Promotion zum Dr. med. dent. be- enden – ebenfalls in Leipzig. Stucks Arbeit behandelte die „Veränderung der Zähne bei kongenitalem Lues“; sie wurde von Wilhelm Pfaff betreut und mit „sehr gut“ bewertet. 2 Ebenfalls 1921 ließ sich Stuck in Leip- zig als Zahnarzt nieder; besagte Praxis- tätigkeit hielt er bis 1939 aufrecht. Schon in den 1920er-Jahren engagierte er sich in der Standespolitik: Seit 1924 gehörte er dem Vorstand des Kreiszahnärztevereins Leipzig an, von 1928 bis 1930 als Vorsitzender. 1930 wurde er dann in den Landesverband sächsischer Zahnärzte gewählt. 3 EIN NATIONALSOZIALIST DER ERSTEN STUNDE Im selben Jahr trat Stuck der NSDAP bei – also deutlich vor der Machtüber- nahme Hitlers, was nahelegt, dass Stuck ein überzeugter Nationalsozialist war und nicht zu den zahlreichen Opportunisten zählte, die nach dem Machtwechsel im Januar 1933 Mitglied wurden. So erklärt sich auch Stucks niedrige Parteinummer (Nr.: 311.896). Hinzu kamen Eintritte in den NS-Ärzte- bund (1931), die SA (1933), den NS- Dozentenbund, den NS-Altherrenbund und die NS-Volkswohlfahrt. 4 Dagegen wurde er – im Unterschied zu anderen bekannten Zahnärzten der NS-Zeit wie Hermann Pook 5 oder Helmut Kunz 6 – kein Mitglied der SS. Bereits 1932 ernannte ihn Bernhard Hörmann, Leiter der Hauptabteilung Volksgesundheit der Reichsleitung der NSDAP und wie Stuck ausgebildeter Zahnarzt, zum Reichsfachberater in der Abteilung Volksgesundheit. Im März 1933 veröffentlichte Stuck dann in den „Zahnärztlichen Mitteilungen“ den Beitrag „Nationale Revolution und Reichsverband“ 7 , in dem er eine „Umgestaltung der Leitung und der Verbandspolitik“ des zahnärztlichen Reichsverbandes forderte und sich so für die Aufgabe des Reichszahnärzte- führers letztlich „geradezu anbot“. 8 Tatsächlich wurde Stuck im März 1933 nach einer Sitzung im Preußischen Innen- ministerium als solcher designiert und durch Hörmann im Amt bestätigt. Anfang Mai stellte ihm der Vorstand des Reichsverbandes eine „General- vollmacht“ aus; damit war das Führer- prinzip im Reichsverband durchgesetzt. 9 Am 24. Juni 1933 versammelten sich auf Stucks Initiative hin in Leipzig 38 deutsche Hochschullehrer aus 21 zahnärztlichen Instituten, um sich als „Einheitsfront“ 10 der Dozenten zur „völligen Anerkennung einer einheit- lichen Führung und des Autoritäts- prinzips“ zu verpflichten – darunter bekannte Professoren wie Georg Axhausen 11 , Hermann Euler 12 , Heinrich Fabian 13 und Wolfgang Rosenthal 14 . Mit jener Erklärung bestätigten die Anwesenden Stuck in seiner Führer- rolle. Zudem wurde Otto Loos zum zahnärztlichen „Reichsdozenten- führer“ 15 bestimmt. Loos unterstand Stuck, war aber qua Amt befugt, mit ihm zu verhandeln. Als Loos im April 1936 überraschend starb, nahm Karl 1 Heidel, 2007, passim; Groß/Schäfer, 2009, passim; Vogt, 2013, passim; Kirchhoff/Heidel, 2016, passim; 2 Diemer, 2013, Tab. 2, Anhang LXIf.; 3 Heidel, 2007, 203f.; Vogt, 2013, 29–32; 4 BArch R 9361-I/3575; Vogt, 2013, 35–41; Klee, 2013, 611; 5 Groß, 2020a; 6 Heit et al., 2020; 7 Stuck, 1933a; 8 Heidel, 2007, 204; 9 Heidel, 2007, 205; 10 Anonym, 1933; Bitterich/Groß, 2020; 11 Groß, 2018a; 12 Groß, 2018b; Groß/Schmidt/ Schwanke, 2016; 13 Groß, 2020b; 14 Groß, 2018c; 15 Groß, 2020c PROF. DR. DR. DR. DOMINIK GROß Institut für Geschichte, Theorie und Ethik der Medizin der RWTH Aachen Klinisches Ethik-Komitee des Universitätsklinikums Aachen MTI 2, Wendlingweg 2, 52074 Aachen dgross@ukaachen.de Foto: privat 74 | GESELLSCHAFT

RkJQdWJsaXNoZXIy MjMxMzg=