Zahnärztliche Mitteilungen Nr. 07

zm 110, Nr. 7, 1.4.2020, (717) Pieper seine Stelle ein 16 ; Pieper tat sich jedoch deutlich schwerer als Loos, Stucks Vormachtstellung anzuerken- nen. Die dritte machtvolle Position innerhalb der Zahnärzteschaft wurde Euler übertragen: Er war bereits in der Weimarer Republik Vorsitzender des Central-Vereins Deutscher Zahnärzte gewesen und wurde auf Stucks Betrei- ben Präsident der im Oktober 1933 aus dem Central-Verein hervorgegangenen DGZMK. 17 Euler war damit für die Gleichschaltung der zahnärztlichen Wissenschaft und ihrer Organisationen verantwortlich. Das Verhältnis zwischen Stuck und Euler war durchgängig gut, wie wechselseitige Würdigungen dokumentieren. 18 Im Juli 1933 wurde das „Gesetz über die Kassenzahnärztliche Vereinigung Deutschlands“ (KZVD) verabschiedet. Die KZVD war damit alleinige Trägerin „der Beziehungen der Kassenzahnärzte zu den Krankenkassen“, und Stuck fungierte seinerseits als ihr Leiter. Erst im August 1933 wurde Stuck von Reichsinnenminister Wilhelm Frick formell zum „Reichsführer der Zahn- ärzte“ ernannt – unbeschadet der Tat- sache, dass er diese Position faktisch schon längst innehatte. 19 Erwähnenswert ist, dass Stuck neben seiner Rolle als Zahnärzteführer keine Parteiämter bekleidete: Tatsächlich hatte Stuck von 1924 bis 1927 einer Freimaurerloge angehört – und jene Mitgliedschaft schloss eine „Karriere“ innerhalb der NSDAP aus. 20 Obwohl das Oberste Parteigericht Stuck 1936 trotz der früheren Logenzugehörigkeit „politische Unbedenklichkeit“ attes- tierte, kam es wiederholt zu partei- internen Diffamierungen Stucks, an denen Pieper nicht unbeteiligt war. Erst im Juni 1942 konnten die Verun- glimpfungen durch einen Schieds- spruch des Disziplinargerichtshofs des NS-Ärztebunds ad acta gelegt werden. Besagte Querelen drangen allerdings kaum an die Fachöffentlichkeit und Stuck blieb bis zum Ende des „Dritten Reiches“ als Reichszahnärzteführer un- angefochten und präsent. So wandte er sich beispielsweise regelmäßig mit Beiträgen an die Berufskollegen. 21 Zu seinen zentralen Themen zählte die „Neuregelung der Judenfrage“, wobei er dezidiert antisemitische Sichtweisen vertrat. 1938 forderte er etwa den Aus- schluss aller jüdischen Zahnärzte nach dem Vorbild der „Regelung, die zum Ausschluß der jüdischen Ärzte geführt hat“ und erklärte: „Die Deutsche Zahnärzteschaft hält es nach wie vor für unmöglich, daß hinsichtlich der jüdischen Zahnärzte eine andere Regelung gefunden wurde als bei den jüdischen Ärzten“. 22 DIE JUDENFRAGE GEHÖRTE FÜR IHN GEREGELT 1939 konnte er dann den Vollzug der „Ausschaltung der Juden“ vermelden. Seinen Bericht schloss er mit einem „Versprechen“: „Damit übernimmt die Deutsche Zahnärzteschaft die Ver- pflichtung, die von fremdrassischem Einfluß vollkommen freie deutsche Zahnheilkunde im Sinne ihrer großen Lehre nach Kräften weiter zu entwickeln und das Beste für die deutsche Volks- gesundheit zu leisten. Die Geschichte soll und wird einmal sagen können, daß die gegenwärtige Generation sich dieses großen Auftrages, der ihr vom Führer gestellt ist, würdig erwiesen hat.“ 23 Noch Anfang 1945 trat Stuck mit nationalsozialistischen Durchhalte- parolen an die Kollegenschaft heran: „Unsere Feinde gedachten [...] das nationalsozialistische Deutschland zu zertrümmern. [...] durch das Aufgebot aller Deutschen wurde der gegnerische Ansturm gebrochen. [...] Treu und gehorsam folgen wir dem Führer bis zum Sieg.“ 24 Er selbst war aufgrund seiner berufspolitischen Aufgaben „vom aktiven Kriegsdienst an der Front freigestellt“. 25 Auf Stucks politischer Agenda standen zudem die Weiterbildung zum Kiefer- chirurgen und Kieferorthopäden, die Förderung der „Neuen Deutschen Heil- kunde“ – einer kruden Melange aus alternativer Medizin und NS-Ideologie – und die „weltanschauliche Schulung“ der Kollegen, was auch die „Rassenfrage“ und die „Erbbiologie“ einschloss. 26 Um Hitlers Vision, dass „jeder anständige Deutsche“ Nationalsozialist werden solle, umzusetzen, hatte Stuck bereits 1934 die „Berufsstandespflicht“ einge- führt – eine achtwöchige weltanschau- liche Schulung, die jeder „arische“ Zahnarzt, der bis zum 1. Oktober 1934 noch nicht selbstständig war, im Lager Jüterbog durchlaufen musste. 27 Zudem nahm Stuck seit 1937 einen Lehrauftrag für zahnärztliche Berufs- kunde an der Berliner Universität wahr. 28 Überhaupt wurde der Praktiker Stuck seitens der wissenschaftlichen Fachgesellschaft, der DGZMK, stark hofiert – dies zeigt sich unter anderem in der Tatsache, dass er 1938 die Ehrenplakette der DGZMK erhielt. 29 Stuck wiederum nahm gelegentlich durch Stellungnahmen Einfluss auf Personalentscheidungen an den Uni- versitäten, so zum Beispiel bei den Hochschullehrern Josef Eschler (auf Betreiben Karl Häupls 30 ) und Gustav Korkhaus. 31 Ein weiteres zentrales Anliegen von Stuck war die Lösung der „Dentisten- frage“: Er trat für die Aufhebung des Quelle: zm-Archiv Foto in den zm von Ernst Stuck anlässlich der Glückwünsche zu seinem 50. Geburtstag, also wohl um den 19.12.1943 herum 16 Groß, 2020d; 17 Groß/Schäfer, 2009, 114f.; 18 Euler, 1944; Stuck, 1943; 19 Heidel, 2008, 205–207; Vogt, 2013, 76–84; 20 Heidel, 2007, 208; Vogt, 2013, 30, 46f.; 21 Stuck, 1933b–1933f; Stuck, 1938a–1938b; Stuck, 1942a; 22 Stuck, 1938c; 23 Stuck, 1939; 24 Stuck, 1945; 25 Vogt, 2013, 39; 26 Vogt, 2014, 214–217, 218–228 u. 242–244; 27 Stuck, 1934; Guggenbichler, 1988, 108–111; Vogt, 2014, 242; 28 Vogt, 2013, 37; 29 Groß/Schäfer, 2009, 116 u. 276; 30 Groß, 2020e; 31 Forsbach, 2006, 314 | 75

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