Zahnärztliche Mitteilungen Nr. 07

zm 110, Nr. 7, 1.4.2020, (720) arbeitete. Gleichzeitig baute er in Prag das „Internationale Ärztliche Bulletin“ auf. 13 Als Redakteur und Autor in dieser Zeit- schrift firmierte Fabian unter dem Pseudonym E. Silva, das er bereits seit 1927 gelegentlich verwendet hatte. 14 Das Internationale Ärztliche Bulletin beschäftigte sich vor allem mit gesund- heitspolitischen und sozialmedizinischen Themen sowie mit dem Kampf gegen den Faschismus. Medizinhistoriker schätzen ein, dass die Autoren vor Kriegsbeginn noch damit rechneten, dass die Zeit der Nazi-Diktatur in Deutschland (bald) vorbeigehen würde und dass naturwissenschaftlich orien- tierte Ärzte (und Zahnärzte) sich gegen „Scharlatanerie und Obskurantismus“ der Neuen Deutschen Heilkunde wen- den würden. Anderen zeitgenössischen Themen wie der Eugenik standen die Autoren des Bulletins differenziert gegenüber. So kritisierten sie einerseits den Zwangscharakter der rassenhygie- nischen Gesetzgebung in Deutschland, waren aber andererseits für starke staat- liche Interventionen im Gesundheits- bereich offen, die auch Eugenik ein- schließen konnten. Florian Tennstedt, Christian Pross und Stephan Leibfried bezeichnen die Autoren des Bulletin als „im biologistischen Zeitgeist befangen“, ihre Artikel spiegelten „die damalige internationale Akzeptanz der Eugenik wieder, und entsprechen nicht durch- weg der Meinung der Herausgeber“. 15 In seinen Beiträgen beschrieb Fabian knapp, pointiert und mit einer Klar- heit, die den heutigen Leser schaudern lassen muss, die nationalsozialistische Gesundheitspolitik und deren Umset- zung in den 1930er-Jahren. Hier seien nur einige Beispiele angeführt: In einem Beitrag aus dem Jahr 1935 klagte Fabian sowohl die Verdrängung von „nichtarischen und politisch nicht zuverlässigen Elementen“ aus dem deutschen Gesundheitswesen und des- sen „Gleichschaltung“ an. Er erkannte die Medizin im Nationalsozialismus als auf Zwang anstatt auf freier Wahl beruhend und bemerkte nicht ohne Sarkasmus den Kontrast zwischen der Einführung eines Tierschutzgesetzes und dem Umstand, dass „Zehntausende aufrechter Männer und Frauen edelster Gesinnung seit zwei Jahren in den Konzentrationslagern sadistisch [ge- quält]“ würden. 16 An anderen Stellen griff Fabian die „Neue Deutsche Heilkunde“ entschie- den als unwissenschaftlich an. 17 Als nach dem Anschluss Österreichs die rassistischen und anderen gesundheits- politischen Gesetze mit einem Schlag dort wirksam wurden, beschrieb Fabian anschaulich deren Effekt. 18 IM EXIL IN NEW YORK ALS KASSENBOTE UND PACKER Im Jahr 1938 musste Fabian Prag ver- lassen. Er ging nach Paris, wo er wieder illegal in der Praxis eines Kollegen arbeiten konnte. Nach Kriegsbeginn wurde er 1939 dort interniert 19 ,konnte aber im November nach New York aus- wandern. Dort erhielt er – wie die meisten anderen seiner in die USA emigrierten Kollegen – keine Arbeits- erlaubnis als Zahnarzt und arbeitete als Kassenbote und Packer für einen Verlag. 20 Ewald Fabian starb 1944 in New York. Hervorzuheben ist Fabians Rolle als aktiver Gegner des Nationalsozialis- mus. Durch seine Arbeit als Redakteur und Autor für das Internationale Ärzt- liche Bulletin ermöglichte er Ärzten, Zahnärzten und anderen Angehörigen der Gesundheitsberufe in Deutschland und darüber hinaus bis 1939 eine kri- tische Perspektive auf die Medizin im Nationalsozialismus. Dafür nahm er persönlich große Risiken in Kauf. Wolfgang Kirchhoff und Caris-Petra Heidel bezeichnen Fabian deshalb als einzigen Zahnarzt, der aus primär gesundheitspolitischen Motiven Wider- stand gegen die Nationalsozialisten ge- leistet hat. 21 ! ZM-LESERSERVICE Die Literaturliste kann auf www.zm-online.de abgerufen oder in der Redaktion ange- fordert werden. Fot o: gem einfrei Commons) Abb. 2: Titelseite des Internationalen Ärztlichen Bulletin von 1934 13 Köhn, 1994, 113–114; 14 Tennstedt et al., 1989, XV; 15 Tennstedt et al., 1989, XVIII-XIX; 16 Fabian, 1935, 1–3; 17 Ewald, 1937, 25–27; 18 Ewald, 1938, 44–47; 19 Guggenbichler, 1988; 20 Köhn, 1994, 114; 21 Kirchhoff und Heidel, 2016 78 | GESELLSCHAFT

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