Zahnärztliche Mitteilungen Nr. 07

zm 110, Nr. 7, 1.4.2020, (650) Foto: Federico Rostagno – stock.adobe.com Leserforum S3-LEITLINIE ZUR PAROTHERAPIE DIE AUSWAHL DER PARAMETER ERSCHEINT WILLKÜRLICH! Zum Artikel „S3-Leitlinie zur Parodontitistherapie ‚Subgingivale Instrumentierung‘“, zm 3/2020, S. 32–34. Die neue Leitlinie der DGP hat nicht nur aus unserer Sicht deutliche Mängel, sie schwächt die niedergelassenen Kollegen in Ihrer Position gegenüber den Kassen und führt vor allem dazu, dass wirksame Therapieoptionen für unsere Patienten weniger eingesetzt werden können. Obwohl die Leitlinie den Titel „Subgingivale Instrumentierung“ trägt, wird die Evidenz der mechanischen Instrumentierung überhaupt nicht diskutiert, sondern es wird eine bemerkenswerte wie fragliche Feststellung gemacht: „Es ist unstrittig, dass die sub- gingivale Instrumentierung der Standard für die kausale Infektions- und Entzündungsbekämpfung bei Parodontitis ist.“ Um die darauf folgenden Bewertungen der „adjuvanten“ Therapien richtig bewerten zu können, sollte der Leser wissen, dass die wissenschaftliche Evidenz für die subgingivale Instrumentierung nach Auswertung aller verfügbaren Studien von der American Dental Association nur als „moderat“ eingestuft wird, genau gleich unsicher wie die meisten adjuvanten Therapien. Anders als der Titel der Leitlinie suggeriert, wird nun nicht auf verschiedene instrumentelle Verfahren eingegangen wie Hand- instrumentierung, Schall- oder Ultraschallgeräte, sondern es werden (bis auf Laser) ausschließlich verschiedene Möglichkeiten der adjuvanten, lokalen Therapie bewertet. Dabei wäre der Vergleich der Evidenz der subgingivalen Handinstrumentierung mit der der anderen Verfahren überaus wichtig für die Beurteilung der Studiensituation. Der größte, aus unserer Sicht nicht zu akzeptierende Mangel dieser Leitlinie ist der Ausschluss aller Studien, die zur Messung des Therapieerfolgs den klinischen Attachmentlevel (CAL) bewerten und nicht (nur) die Taschensondierungstiefe (PD). Dieser Aus- schluss führt dazu, dass die getroffenen Empfehlungen wesentlich von denen anderer Fachgesellschaften – z. B. von der American Dental Association oder auch von der Deutschen Gesellschaft für Implantologie (S3-Leitlinie Periimplantitis) – abweichen. Aus unserer Sicht sollte die Auswertung von Studien für die Erstellung einer Leitlinie nach rein wissenschaftlichen Kriterien vorgenommen werden und nicht nur nach einzelnen, aus unserer Sicht willkürlich ausgesuchten Parametern oder vor dem Hintergrund fraglicher Interessenkonflikte seitens der Verfasser. Im Gegensatz zu den Autoren des Entwurfs kommen die Experten der American Dental Association in der 2015 publizierten Leitlinie: „Evidence-based clinical practice guideline on the nonsurgical treatment of chronic periodontitis by means of scaling and root planing with or without adjuncts” zu der Feststellung, dass der CAL gegenüber dem PD der deutlich ver- lässlichere Parameter ist: „PD is measured from the gingival margin, and the measurement is affected by gingival recession or inflammation, but CAL is measured from a fixed reference point (typically the cementoenamel junction) and is a more valid metric and a more stable indicator of improvement in periodontal health than PD.” Aus unserer Sicht ist es mehr als diskussions- würdig, aufgrund eines Wechsels des Bewertungskriteriums (PD statt CAL), das, wie die Autoren selbst schreiben, in den meisten Studien regelmäßig als Kriterium für den klinischen Erfolg herangezogen wird, nun die Ergebnisse der Leitlinie der weltgrößten Fachgesellschaft ausdrücklich unberücksichtigt zu lassen. Auf dieser mehr als fragwürdigen Basis und im Wider- spruch zu der American Dental Association werden sämtliche adjuvanten Parodontitistherapien wie Laser, Photodynamische Therapie, CHX-Lösung und CHX-Chips als „sollten nicht ver- wendet werden“ qualifiziert. Diese Empfehlung kommt einem „Verbot“ der Therapie sehr nahe, da sich viele Praktiker sehr strikt an die Leitlinie der Fach- gesellschaft halten werden. Wir halten das für falsch, da wir die Studienlage anders bewerten und die Empfehlungen in den Leitlinien anderer Fachgesellschaften für überzeugend halten. Zudem sehen wir das Risiko, das diese Leitlinie die ganz praktische Folge haben wird, dass sich viele Versicherungen weigern werden, die Behandlungskosten zu übernehmen und so vielen Patienten eine wichtige Therapieoption aufgrund sehr dünner Argumentation entzogen wird. Univ.-Prof. Dr. Rainer Hahn, Danube Private University (DPU), Fakultät Medizin/Zahnmedizin, Krems-Stein, Österreich

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