Zahnärztliche Mitteilungen Nr. 08

zm 110, Nr. 8, 16.4.2020, (798) Schutzausrüstung gut aufgestellt sind. Aber es gibt Infektionskrankheiten, wie Tuberkulose oder Ebola, die gehen wirklich glatt durch, und entsprechend haben wir auch Vollschutzausrüstung vorrätig. Wollen Sie weiterbehandeln? Wir wollen und wir müssen weiter- behandeln. Beides. Erstens ist es so, dass die Erkrankung absolut ernst zu nehmen ist, aber der Behandlungs- bedarf der Patienten, die in unsere Praxis kommen, ja nicht verschwindet. Und wir müssen uns die Frage stellen: Wie lange wird uns Corona begleiten? Nach allem, was wir aktuell wissen, wird es keine Zeit ohne Corona geben. Es wird nur noch eine Zeit mit Corona geben. Dementsprechend muss man ganz ehrlich sein und sagen: Es gibt Behandlungen, die lassen sich ver- schieben, aber für viele Behandlungen gilt das eben nicht, und die werden ge- macht, wenn sie notwendig und indi- ziert sind. Und da wollen und müssen wir trotz Krise für unsere Patienten weiter da sein. Ich habe persönlich großen Respekt für alle Kollegen, die in dieser kritischen und teils unsicheren Zeit ihrer Ver- pflichtung den Patienten gegenüber weiter nachkommen. Welche Behand- lungen gemacht werden und welche nicht, sollte eine individuelle Abwä- gung der Risikofaktoren, der Dring- lichkeit der Behandlung selbst und der lokalen Gegebenheiten sein, die Behandler und Patient gemeinsam treffen. Pauschallösungen sind nicht sinnvoll und werden den Bedürfnissen der Patienten auf gute zahnmedizinische Behandlung nicht gerecht. Was wird sich aus der von Ihnen gemachten Erfahrung für Ihre Praxis nach der Krise ändern? Wir haben den Durchlauf der Patienten- zahlen deutlich gedrosselt, weil wir wissen – und das ist eben die Beson- derheit an SARS-CoV-2 –, dass es zwar, wie eine normale Grippe auch, durch Tröpfcheninfektion übertragen werden kann, aber natürlich eine sehr hohe Infektiosität hat und die Bevölkerung nicht durchimmunisiert ist. Es wird dauern, bis das erreicht ist – und bis dahin werden wir die Takte, die wir früher gefahren haben, so nicht mehr fahren können. Wir haben die Anzahl der Patienten pro Tag und Behandler erheblich reduziert. Es gibt momentan gar keinen Patienten im Wartezimmer, der warten muss. Es gibt klar definierte Zeiten, in denen wir Notfälle direkt annehmen können. Da ist von vorn- herein kein Patient bestellt. Den „alten“ Ablauf, der in Deutsch- land im internationalen Vergleich doch eine größere Anzahl Patienten pro Behandler beinhaltete, den werden wir so nicht weiter aufrechterhalten können. Mit dem Ausbruch in Italien haben wir unsere Einbestellungen bereits ausgedünnt und mit dem Aus- bruch in Deutschland haben wir dann massiv gebremst und dadurch pro Behandler deutlich weniger Patienten pro Tag. Was wird sich für die zahn- medizinische Versorgungslandschaft Ihrer Meinung nach ändern? Das Bewusstsein, dass wir ständig in einem potenziell infektiösen Raum unterwegs sind, ist jetzt bei den Zahn- ärzten angekommen. Das war schon immer so, hat sich aber in dieser Krise noch manifestiert. Die Schutzmaßnah- men in der Praxis – Mundschutz, Handschuhe, Einmalhaube, Brille, eventuell Einmalmäntel – werden auf hohem Niveau bleiben und wir wer- den sehen, was da noch auf uns zu- kommt. Im Schnitt wird der Durchlauf in den Praxen geringer, natürlich wird dadurch auch der Umsatz geringer, gleichzeitig wird der Bedarf an Schutz- ausrüstung höher werden. All das wird natürlich in der Zukunft berücksichtigt werden müssen. Quo vadis, Zahnarzt? Welchen Weg wird die Zahnmedizin aus Ihrer Sicht in Zukunft ein- schlagen und welche Bedeutung hat das für den Berufsstand? Da hat Prof. Frankenberger [Anm. d. Red.: Prof. Dr. Roland Frankenberger ist Präsident der Deutschen Gesell- schaft für Zahn-, Mund- und Kiefer- heilkunde, DGZMK] etwas sehr Bezeichnendes gesagt: Das große M in der ZahnMedizin werde jetzt deut- licher nach vorne treten, sprich die Zahnmedizin wird noch näher als bisher an die Medizin heranrücken. Der Selbstschutz und die Situation in der Mundhöhle sind nicht so easy, wie viele bisher gedacht haben. Kann diese Erfahrung den Beruf des Zahnarztes – mit Blick auf seine Bedeutung als medizinisch- akademischer Beruf – stärken? Ich schaue da gerade auch auf die Niederlande, wo die Politik versucht, die Behandlungskompe- tenz vom Zahnarzt auf andere Berufsgruppen zu verlagern? Zunächst: Den Weg, den die Nieder- lande die vergangenen zehn Jahre gesundheitspolitisch gegangen sind, finde ich nicht nachvollziehbar und teilweise scheint es sogar fahrlässig. Der Zahnarzt heißt so, weil es sich um eine Profession handelt, die für die orale Gesundheit zuständig ist, also im Grunde ist der Zahnarzt der Facharzt für die Mundhöhle. Etwas anderes gibt es tatsächlich nicht zu sagen. Es kann nicht sein, dass dem Zahnarzt die Kom- petenz immer weiter abgesprochen und behauptet wird, sie könne in nicht- akademische Bereiche ausgelagert wer- den. Gerade in Ländern, in denen der Zahnarzt immer mehr auf den Dentisten reduziert wurde und eine Nicht-Akade- misierung eingesetzt hat, muss jetzt jedem klar sein, dass dies ein Irrweg ist. In einer Welt, in der sich neue Infek- tionskrankheiten sehr schnell weiter- verbreiten, die so schnell nicht kon- trollierbar sind, treten zwangsläufig Versorgungsproblematiken auf. Zusam- men mit der entsprechenden Mikro- biologie und mit dem Wissen um infektiöse Problematiken, wird tatsäch- lich ein an die Medizin angelehntes Studium benötigt. Das lässt sich nicht einfach in einem Wochenendkurs nachholen. Eine der Konsequenzen für die Niederlande muss sein, das zu er- kennen und den Weg zurückzufinden, um die Kompetenzen an die Zahnärzte zurückzugeben und diese Verbreite- rung des Feldes aufzugeben. Zahnmedizin ist und bleibt ein akademisches Fach und die aktuelle Krise zeigt einmal mehr, dass die enge Verquickung mit der Medizin alltags- notwendig für jeden Zahnarzt und lebensnotwendig für jeden Patienten ist. \ Das Interview führte Anita Wuttke, München, freie Journalistin und Chefredakteurin des EDI Journals. 36 | PRAXIS

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