Zahnärztliche Mitteilungen Nr. 08
zm 110, Nr. 8, 16.4.2020, (813) Um möglichst minimalinvasiv vor- zugehen, kommen die Methoden der schrittweisen und der selektiven Kariesexkavation infrage. Dabei soll nur das infizierte kariöse und nicht un- bedingt alles erweichte Dentin entfernt werden. Bei der schrittweisen Kariesexkavation belassen Behandler ledrig-erweichtes, kariöses Dentin am Kavitätenboden nahe der Pulpa und füllen den Defekt temporär für circa sechs Monate. Dann eröffnen sie die Kavität erneut, prüfen die Remineralisation und entfernen das zurückgebliebene weiche Dentin- gewebe vollständig. Am Ende erfolgt die definitive Restauration. Sinn und Zweck dieses Vorgehens ist es, die Bil- dung von Tertiärdentin während des halben Jahres abzuwarten und erst danach komplett zu exkavieren. Die Exposition der Pulpa soll so vermieden werden. Nachteile dabei: Der Zahn ist zunächst nur temporär gefüllt. Der Patient muss eine zweite Sitzung in Kauf nehmen, in der die Pulpa doch eröffnet werden könnte, je nachdem, wieviel Tertiärdentin sich wirklich ge- bildet hat [Bjørndal, 1997, 2000 und 2008; Maltz et al., 2018]. Warum also nicht einfach das ledrige, kariöse Dentin belassen und eine defi- nitive Füllung legen (selektive Karies- exkavation)? Dafür spricht die Unter- suchung von Bitello-Firmino et al., die keine Unterschiede in der bakteriellen Belastung des Dentins drei Monate nach selektiver versus nicht-selektiver Kariesexkavation zeigte. Insgesamt gibt es allerdings nur sehr wenige Daten aus der Wissenschaft zu der Fragestellung, ob die selektive Kariesentfernung bei bleibenden Zäh- nen für die Pulpa ein geringeres Risiko darstellt als die nicht-selektive Karies- entfernung. Die meisten Studien liefen bisher an Milchzähnen oder unter- schieden nicht zwischen bleibenden und Milchzähnen [Ricketts et al., 2013; Li et al., 2018]. MATERIAL UND METHODE Die brasilianischen Wissenschaftler schlossen nun kontrollierte klinische und Kohorten-Studien in das Review und die Metaanalyse ein. Die selektive Kariesexkavation bildete die Testgruppe, die gegen die nicht-selektive und/oder die schrittweise Kariesexkavation als Kontrollgruppe getestet wurde. Die schrittweise Kariesexkavation ist in diesem Review wie eine zweizeitige, nicht-selektive Kariesentfernung anzu- sehen. In-vitro-Studien, Studien an Milchzähnen, Untersuchungen nur mit temporären Füllungen und Literatur- recherchen schlossen die Forscher aus. Der primäre Endpunkt des vorliegen- den Reviews war die Gesunderhaltung der Pulpa nach den unterschiedlichen Kariesexkavationsmethoden, sowohl klinisch als auch radiologisch. Zusätz- lich untersuchte die Forschergruppe die Qualität der Restaurationen, das Vorkommen von Pulpaexpositionen, das von Bakterien im Dentin und die Anlagerung von Dentin. ERGEBNISSE Nur zehn Studien konnten in das sys- tematische Review einbezogen werden, vier in die Metaanalyse. Die Kontroll- gruppen zeigten ein höheres Risiko einer Pulpaeröffnung als bei der selektiven Kariesexkavation. Laut Metaanalyse war die Gesunderhaltung der Pulpa signifikant höher bei der se- lektiven Kariesentfernung. Die nicht- selektive Kariesexkavation zeigte ein höheres Risiko für eine versehentliche Pulpaexposition gegenüber der schritt- weisen Kariesentfernung. Sowohl die selektive als auch die nicht- selektive Kariesentfernung konnten die Bakterienmenge in der Kavität effektiv reduzieren. Statistisch signifikant unterschieden sich beide Methoden nicht. Nur eine in das Review ein- bezogene Studie untersuchte die Restaurationsqualität. Sie zeigte keine Unterschiede in puncto Langlebigkeit zwischen Test- und Kontrollgruppen. Eine weitere Studie verglich die Anla- gerung von Dentin vier Wochen nach der Exkavation und der Verwendung von MTA als Pulpaschutz. Der Unter- schied zwischen der nicht-selektiven und der selektiven Kariesentfernung war hinsichtlich der Dentinanlagerung nicht signifikant. DISKUSSION Zu den Schwächen solcher Art von Studien gehört, dass der Grad des Ex- kavierens je nach Behandler bei der gleichen Methode unterschiedlich sein kann. Das macht Vergleiche schwierig. Da bei den eingeschlossenen Studien die Nachbeobachtungszeit stark schwankte (zwischen drei Monaten und fünf Jahren), konnten nicht alle Studien in die Metaanalyse zur Frage nach der Gesunderhaltung der Pulpa im Hinblick auf die Exkavations- methode einbezogen werden. Für das Vorgehen der selektiven Karies- exkavation gab es schon durch frühere Studien Evidenz [Maltz et al., 2010; Oliveira et al., 2006; Thompson et al., 2008]. Nun ist die Effektivität dieser Methode auch für bleibende Zähne mit diesem Review bestätigt worden. FAZIT Die selektive Kariesentfernung war im Erhalt der Vitalität der Pulpa erfolg- reicher als die nicht-selektive und als die schrittweise Kariesexkavation. Da die beiden letzteren Methoden eine vermehrte Pulpaexposition gegenüber der selektiven Kariesentfernung gezeigt haben, sollten Behandler die weniger invasive Methode der selektiven Kariesexkavation bei bleibenden Zäh- nen anwenden. Vorteile: Sie lässt sich in einer Sitzung durchführen und erhält mehr Zahnhartsubstanz. \ Quelle: Myrna Maria Arcanjo Frota Barros, Maria Imaculada De Queiroz Rodrigues, Francisco Wilker Mustafa Gomes Muniz, Lidiany Karla Azevedo Rodrigues: „Selective, stepwise, or nonselective removal of carious tissue: which technique offers lower risk for the treatment of dental caries in permanent teeth? A systematic review and meta- analysis”. Clinical Oral Investigations (2020) 24:521–532; doi: org/10.1007/ s00784–019–03114–5 ZM-LESERSERVICE Die Literaturliste kann auf www.zm-online.de abgerufen oder in der Redaktion ange- fordert werden. | 51
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