Zahnärztliche Mitteilungen Nr. 08

zm 110, Nr. 8, 16.4.2020, (834) ZM-SERIE: TÄTER UND VERFOLGTE IM „DRITTEN REICH“ Helmut Kunz und die Ermordung der Goebbels-Kinder Dominik Groß, Alexander Heit, Mathias Schmidt Es gibt nur wenige deutsche Zahnärzte des „Dritten Reiches“, die internationale Beachtung fanden. Zu ihnen gehört Helmut Kunz, dessen Leben und Werk erst kürzlich in der Fachzeitschrift „British Dental Journal“ beleuchtet wurde. 1 Was aber macht Kunz zu einer interessanten Figur und wie wurde er zu einem „Täter“? 2 A ls Helmut Friedrich Kunz am 26. September 1910 in Ettlingen bei Karlsruhe geboren wurde, deutete wenig darauf hin, dass er ein- mal eine Person der Zeitgeschichte werden würde. Auch der Zahnarztberuf war ihm nicht in die Wiege gelegt wor- den: Sein Vater Gustav war Buchhalter und Kaufmann. Helmut Kunz wuchs während des Ersten Weltkriegs auf und gehörte demnach der „Kriegsjugend- generation“ an – so bezeichnen Histo- riker diejenigen, die den Krieg bewusst erlebt, aber aufgrund ihrer Jugend nicht aktiv an ihm teilgenommen hatten. In vielen Fällen führten die „verpasste Chance zur Frontbewäh- rung“ und die Unzufriedenheit mit der Weimarer Republik zu einer Radi- kalisierung, sodass sich aus dieser Generation viele spätere Vertreter des NS-Regimes rekrutierten. 3 Dies sollte auch auf Kunz zutreffen. FRÜHE RADIKALISIERUNG BIS IN DIE WAFFEN-SS Zunächst legte Kunz 1928 sein Abitur in Offenburg ab und begann in Heidel- berg ein Jurastudium. Dieses brach er nach drei Semestern ab, um zur Zahn- medizin zu wechseln. Er zog nach Jena und später nach Leipzig, wo er 1933 sein Studium abschloss 4 – zu einem Zeitpunkt, als in Deutschland noch mehr Dentisten als akademische Zahn- ärzte beschäftigt waren. 5 Am 30. April 1934 trat Kunz in die SS ein, und am 1. Mai 1937 wurde er Mit- glied der NSDAP. 6 Auffällig ist die Überschneidung des Parteibeitritts mit dem Ende der im Frühjahr 1933 verhängten Mitgliedersperre: In den ersten Monaten nach der Machtüber- nahme Hitlers verzeichnete die NSDAP einen ungebremsten Zustrom an Mitgliedern. Um sich vor politischen Opportunisten zu schützen und die verwaltungstechnischen Hürden be- wältigen zu können, verhängte die Partei 1933 eine vier Jahre währende Sperre. 7 SS-Angehörige waren davon jedoch ausgenommen. Vielleicht hat Kunz sich von den neuen Beitritts- wellen 1937 mitreißen lassen oder sein politisches Engagement erst nach der Praxiseröffnung, Familienplanung und Sesshaftwerdung wieder gesteigert. Bereits im März 1936 hatte Kunz im thüringischen Lucka eine Zahnarzt- praxis eröffnet. Im Juli 1937 heiratete er seine Frau Ursula, mit der er drei Kinder hatte. 8 Kunz blieb über mehrere Jahre in Lucka ansässig – noch 1941 war er im Deutschen Zahnärzte-Buch als einziger Zahnarzt der damals rund 3.200 Einwohner umfassenden Ort- schaft verzeichnet. 9 Am 9. Juni 1939 promovierte Kunz in Leipzig zum Dr. med. dent. Die 20-seitige Arbeit befasste sich mit der Zahnkaries bei Schulkindern „unter Berücksichtigung der Stillzeit“ 10 . Im Januar 1940 nahm Kunz den aktiven Dienst als Sanitätsoffizier auf 11 und trat im August 1940 – als einer von rund 300 Zahnärzten 12 – in die Waffen-SS ein. Die Angehörigen der Waffen-SS waren „wegen ihrer Gewaltbereitschaft und Radikalität besonders gefürch- tet“ 13 . Als Untersturmführer wurde Kunz dem Pionierbataillon der 3. SS- Totenkopf-Division in Dachau zuge- ordnet – einer Division, die sich aus SS- Lagerwachen der Konzentrationslager zusammensetzte. 14 Im September 1941 wurde Kunz an der Ostfront durch Schrapnelle in der Lunge schwer ver- wundet und im Dezember 1941 zu einem Ersatzbataillon abkommandiert. Im Februar 1942 erfolgte dann seine 1 Heit et al., 2019, 997–1000. Besagter Aufsatz ist die zentrale Referenz dieses Beitrags; 2 Zur Kategorie der „Täter“ vgl. Groß/Krischel, 2020, 24–27; Groß, 2018; Schwanke/Krischel/Groß, 2016, 2–39; Heit et al., 2019; Bacon/Romanowska/Chumbley, 2005, 55–62; 3 Wildt, 2003; 4 LA NRW, Q225 PPOM No 316, Vol. 1: CV, 281; UA Leipzig, Medizinische Fakultät E 03/04, 424; UA Münster, 10 Nr. 4228: Schreiben vom 10.04.1934; 5 Groß/Schäfer, 2009, 95; 6 BArch Berlin, R/9361/III/538811; Heit et al. (2019), 997f.; 7 Benz (2009); 8 BArch Berlin, R/9361/III/538811; Heit et al., 2019, 998; 9 Heinrich/Ottow, 1938, Teil C, 479; Heinrich/Ottow, 1941, Teil C, 467; 10 Kunz, 1939; 11 LA NRW, Q225 PPOM No 316, Vol. 1: CV, 281; 12 Westemeier/ Groß/Schmidt, 2018, 93–112; 13 Groß, 2019, 163; Groß et al., 2018, passim; 14 Sydnor, 2002, 38f. PROF. DR. DR. DR. DOMINIK GROß Institut für Geschichte, Theorie und Ethik der Medizin der RWTH Aachen Klinisches Ethik-Komitee des Universitätsklinikums Aachen MTI 2, Wendlingweg 2, 52074 Aachen dgross@ukaachen.de Foto: privat 72 | GESELLSCHAFT

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