Zahnärztliche Mitteilungen Nr. 09
zm 110, Nr. 9, 1.5.2020, (878) CORONA-KRISE HABEN WIR NUR EINEN SICHERSTELLUNGSAUFTRAG ZWEITER KLASSE? Offener Brief an das Bundesgesundheitsministerium und den Bundesgesundheitsminister Jens Spahn Sehr geehrter Minister Spahn, mit Dankbarkeit und Überzeugung stelle ich mich jeden Tag auf den Balkon und klatsche all denjenigen zu, die in diesen, für uns alle schwierigen Corona-Zeiten Hilfsbereitschaft zeigen, sich für unsere Mitmenschen einsetzen, ihrer Arbeit im Rahmen des Sicherstellungsauftrags nachgehen und Großartiges für unsere Gesellschaft leisten! Ich klatsche aber auch inbrünstig für all diejenigen, die keine Solidarität erfahren, die einfach vergessen werden und die be- wusst neben dem hochgepriesenen Rettungsschirm platziert werden. Dazu gehören auch meine wunderbaren Mitarbeiter, die sich trotz Sorge um ihre Familien, um sich selbst und um ihre Umgebung täglich bei mir in der Praxis einfinden, um Schmerzen zu lindern, Patienten nicht allein zu lassen und ihrer Versorgungsverpflichtung nachzukommen. „Ich habe den Beruf der Zahnarzthelferin bewusst gewählt, ich bin mir der Hygienerisiken schon immer bewusst gewesen und unter Einhaltung unserer Hygiene- und Arbeitsschutzrichtlinien hatte ich bisher keine Bedenken. Ich liebe meine Praxis und unsere Patienten, aber was derzeit abgeht, macht mir große Angst. Und jetzt lässt uns die Politik auch noch im Corona-Regen stehen. Wie ungerecht und warum?“, fragte mich dieser Tage eine Mitarbeiterin. Seit Wochen bemühen wir uns um die Besorgung ausreichender Schutzkleidung mit wenig Erfolg, wir folgen den Empfehlungen des Robert Koch-Instituts und den Anweisungen unserer Standes- organisationen, den uns auferlegten Sicherungsauftrag ernst zu nehmen. Wir stehen jeden Tag für unsere Patienten zur Verfügung und sind für Notfälle gerüstet. Wir verfolgen die Nachrichten und erleben eine Welle von Hilfsbereitschaft und auch die Politik wirft mit großen Worten um sich. Wir müssen zusammenhalten, Solidarität ist wichtig – offensichtlich aber nicht für alle! Am 23. März 2020 beschließt das Bundeskabinett die Entwürfe für Gesetzespakete zur Unterstützung des Gesundheitswesens bei der Bewältigung der Corona-Epidemie. Sie als Bundesgesundheits- minister erläutern vollmundig: „ Gesundheitswesen stützen, damit es noch besser schützen kann“. Dabei werden alle systemrelevanten Gesundheitsbereiche aufgeführt – einzig die Zahnarztpraxen werden nicht erwähnt und schlichtweg ausgeschlossen ( https:// www.bundesgesundheitsministerium.de/presse/pressemitteilun gen/2020/1-quartal/gesetzespakete-corona-epidemie.html ). Das Coronavirus hält sich vor allem im Mund- und Rachenraum auf, es nimmt von dort aus seinen Lauf über die viel beschriebene Tröpfchenübertragung. Abstand halten ist für das zahnmedizinische Personal und die Behandler nicht umsetzbar. Jegliche Behandlung ist für beide Seiten – Patient wie Praxisangehörige – ein unkal- kulierbares Risiko, welches nur durch aufwendige Maßnahmen minimiert wird. Ohne eine Debatte über die Wertigkeit der Fachrichtungen anzustoßen, sollte man rein sachlich feststellen, dass es medizinisches Personal in diversen Bereichen gibt, die nicht ansatzweise einem Patienten-Kontakt in dem Maße ausgesetzt sind, wie unsere Mitarbeiterinnen und wir Zahnärzte. Trotzdem werden aber alle anderen medizinischen Fachrichtungen durch den Rettungsschirm geschützt. Warum wird die Zahnmedizin hier so bewusst diskriminiert und ausgegrenzt, frage ich Sie nachdrücklich? Unsere zahnmedizinischen Mitarbeiter und zahnärztlichen Behandler sind einem ungleich höheren Risiko ausgesetzt: Bei den Behandlungen kommen Turbinen und Winkelstücke sowie Ultraschallgeräte zum Einsatz – und das mit einem Maximal- abstand von circa 25 bis 40 cm. Wir arbeiten direkt am offenen Mund des Patienten. Die entstehenden Aerosole ausgehend aus dem Mund des möglicherweise infizierten Patienten sind potenzielle Virenverteiler aus der direkten Nähe! Unsere zahnmedizinischen Assistentinnen und wir Zahnärzte gehören nachweislich zu der am höchsten gefährdeten Berufs- gruppe! (siehe: https://www.krankenhaushygiene.de/ccUpload/ upload/files/2020_03_22_DGKH_Mitteilung_Ausgangssperre_ RKG_Konzept.pdf) Zurecht und mit großem Verständnis werden daher aktuell nur notwendigste Behandlungen durchgeführt. Dies wird auch von unserer Standesorganisation und den Gesundheitsämtern empfohlen. Diese machen aktuell gar Praxisbegehungen und teilen Verwarnungen aus, sollten andere Behandlungen als Notfälle durchgeführt werden. Die Folge: Patienten sagen ihre Termine reihenweise ab und in den deutschen Zahnarztpraxen brechen die Umsätze bis zu 100 Prozent ein. Vor allem dann, wenn aufgrund nicht beziehbarer und mangelnder Schutzausrüs- tung die Praxen komplett schließen müssen. Dies ist besonders fatal, da eine Schließung im Grunde genommen rechtswidrig ist. Zahnarztpraxen gehören explizit zur systemrelevanten Berufsgruppe und eine Schließung kann nur von den Behörden angeordnet werden. Wir sind es gewohnt unter strengen Hygieneauflagen zu arbeiten und haben unsere Hilfe zur Schulung von Aushilfspersonal auch in Kliniken angeboten. Wir stehen dem Gesundheitswesen mit Überzeugung zur Verfügung, wenn der Katastrophenfall aus- gerufen wird und die Kompetenz unserer Mitarbeiter und von uns Zahnärzten gebraucht wird. Warum wird nun die am besten in der Hygiene ausgebildete Fachgruppe bestraft und warum werden wir anders bewertet als zum Beispiel Psychologen oder niedergelassene Ärzte, die völlig neutral betrachtet keinen so intensiven Kontakt zu den Patienten haben? 12 | LESERFORUM
Made with FlippingBook
RkJQdWJsaXNoZXIy MjMxMzg=