Zahnärztliche Mitteilungen Nr. 09

zm 110, Nr. 9, 1.5.2020, (898) weil er sich vorgeblich mit der Virus- belastung von Speichel beschäftigt [To et al., 2020]. Ziel der Untersuchung war, eine Probenentnahme für die Corona-Testung ohne Kontakt zu ei- nem Untersucher zu ermöglichen. Zwölf Patienten mit bestätigter Coro- na-Infektion wurden gebeten, Sekret aus dem Hals in ein steriles Behältnis zu husten. In einem Fall wurde kein Virusmaterial gefunden, bei acht Pro- ben inaktives und in drei Fällen aktives Virusmaterial. Auch wenn es sich tat- sächlich um Sputum gehandelt hat, sprechen die Autoren von „Speichel“– „cough out saliva from their throat“. Coronamaterial im Sputum Infizierter ist kaum verwunderlich und wurde be- reits in anderen Studien nachgewiesen. Sehr spekulativ wäre deshalb ein zahn- ärztlicher Kontext, der unterstellt, dass ein Patient nicht als erkrankt erkannt wurde, sein Sputum sich mit Kühlflüs- sigkeit mischt, nicht abgesaugt wird, sich stattdessen im Raum verteilt, den Mundschutz überwindet und schließ- lich eine Infektion auslöst. Dies, ob- wohl die großvolumige Absaugung mehr als 95 Prozent des kontaminier- ten Materials aufnimmt [Harrel et Molinari, 2004] und eine FFP2-Maske (aktuelle Empfehlung des RKI bei Aero- solbildung) ihrerseits mindestens 95 Prozent herausfiltert. Rein rational würde man diesem komplexen Infekti- onsweg wohl keine besondere Rele- vanz zumessen, zumal sich auch in Wuhan keine Infektionshäufung beob- achten ließ. In einer Worst-Case- Betrachtung kann man diesen Weg aber natürlich nicht ausschließen. Die professionelle Zahnreinigung mag problematischer erscheinen, weil mit der Zwei-Hand-Behandlung die groß- volumige Absaugung nicht optimal zu führen ist. Dem ließe sich aber mit Handinstrumenten und langsam rotie- renden Polierkelchen begegnen. MYSTERIUM MUNDSCHUTZ Zwei Arten von Mundschutz werden im Corona-Geschehen diskutiert: der Mund-Nase-Schutz (MNS, einfacher Mundschutz oder OP-Maske) und die FFP2-Maske. FFP steht für „Filtering Fa- ce Piece“ (filtrierende Atemschutz- Halbmaske) und ist in drei Klassen ver- fügbar. Klasse 2 schützt vor wässrigen und öligen Aerosolen, Rauch und Fein- staub. In der zahnmedizinischen Anwendung dürfen nur FFP2-Masken ohne Ausatemventil verwendet wer- den, weil sonst die Ausatemluft unge- filtert nach außen tritt [Jatzwauk, 2020]. Sehr häufig liest man, dass ein MNS nur das Gegenüber, eine FFP2-Maske ohne Ausatemventil dage- gen Träger und Gegenüber schütze. Die vermeintliche Geringerstufung des MNS hat nichts mit der Filterwirkung zu tun – diese ist in beiden Richtungen hoch –, sondern mit möglicher Neben- luft, die an nicht anliegenden Rändern eingeatmet werden könnte. Entscheidend ist jedoch, dass sich MNS und FFP2-Maske in drei großen In-vivo- Studien mit Influenza- [Lewis et al., 2019] und SARS-Erregern [Loeb et al., 2004; Seto et al., 2003] als gleicherma- ßen wirksam erwiesen. Die Schutzwir- kung ist zwar hoch, aber niemals voll- ständig, weder bei der einen noch bei der anderen Maske [Dreller et al., 2006]. FAZIT Die zahnärztliche Kollegenschaft ist in zwei Gruppen aufgeteilt. Die eine Gruppe möchte so wenig wie möglich behandeln, am besten auf dringende Notfälle beschränkt bleiben, die andere Gruppe interessiert sich für ein beson- deres Corona-Regime, möchte aber an- sonsten „normal“ weiterarbeiten. Die Tabelle zeigt, wie sich in verschiedenen Ländern die dortige Situation der zahnärztlichen Praxen darstellt. Über- wiegend gibt es keine behördlichen Praxisschließungen und Entschädi- gungsleistungen sind durchweg gering. Aus den nicht wenigen Daten, die bisher verfügbar sind, lässt sich konsta- tieren, dass die Angehörigen zahnärzt- licher Berufe sehr geringe Infektionsra- ten mit dem Coronavirus zeigen und damit deutlich unter der allgemeinen Bevölkerung liegen. Nachdem der Mundraum eine sehr infektionsträchti- ge Körperregion darstellt, kann die Er- klärung nur lauten: Zahnärzte können Hygiene, und das scheint sogar auf das Privatleben abzufärben. Nach allem, was wir bisher wissen, geht von der Zahnmedizin auch keine besondere Corona-Gefährdung der Patienten oder unserer Familienmitglieder aus. Selbst der über Jahrzehnte erprobte Basisschutz funktioniert und lässt sich in besonderen Fällen – Teammitarbei- ter mit erhöhtem Risiko oder Risikopa- tienten – weiter steigern. Zahnärztliche Notfälle bei Covid-19-Patienten wer- den zwar immer wieder diskutiert, scheinen aber doch selten zu sein. Zwei zahnärztliche Praxen im städti- schen Klinikum München, in dem bereits über 400 Covid-19-Patienten behandelt wurden, haben aus dieser Gruppe bislang keinen einzigen zahn- ärztlichen Notfall erlebt. Gerade die Zahnmedizin hat oft kriti- siert, wenn in der Hygiene vom Worst Case ausgegangen wird und alle Maß- nahmen darauf ausgerichtet werden. Aktuell ist es vernünftig, den Worst Case nicht auszuschließen, dennoch bedarf es dringend einer wissenschaft- lichen Einordnung, welche Gefahr tatsächlich vom Speichel und vom Kühl-Aerosol ausgeht. Gerade auch weil Virologen den Begriff „Aerosol“ in anderem Zusammenhang gebrauchen, ist eine Aufklärung der Unterschiede besonders wichtig. Zum Corona-Risikomanagement in der Zahnarztpraxis hat der Deutsche Arbeitskreis für Hygiene in der Zahn- medizin (DAHZ) eine Stellungnahme veröffentlicht: http://dahz.org/wp- content/uploads/2020/04/DAHZ- Stellungnahme-Corona-20.04.2020.pdf. ZM-LESERSERVICE Die Literaturliste kann auf www.zm-online.de abgerufen oder in der Redaktion ange- fordert werden. PROF. DR. CHRISTOPH BENZ Poliklinik für Zahnerhaltung und Parodontologie Ludwig-Maximilian-Universität München Foto: axentis.de 32 | POLITIK

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