Zahnärztliche Mitteilungen Nr. 09

zm 110, Nr. 9, 1.5.2020, (920) ZM-SERIE: TÄTER UND VERFOLGTE IM „DRITTEN REICH“ Walter Sonntag – Zahnarzt und zum Tode verurteilter Kriegsverbrecher Dominik Groß, Christiane Rinnen Walter Eugen Sonntag gehört zu den rund 100 Fachvertretern, die im Dritten Reich als KZ- Zahnärzte tätig waren. Er war einer von 48 identifizierten Kollegen, die als Kriegsverbrecher angeklagt und einer von 15 Zahnärzten, die zum Tode verurteilt wurden. Wer war dieser Mann und was führte zur Verhängung der Todesstrafe? 1 S onntag wurde am 13. Mai 1907 im lothringischen Sablon bei Metz geboren. Er war das jüngste von drei Kindern eines katholischen Ministe- rialsekretärs. Die Familie war nach dem Ende des Ersten Weltkriegs gezwungen, Lothringen zu verlassen und zog ins Saarland. Hier legte Sonntag in der Kleinstadt Merzig das Abitur ab. An- schließend studierte er Zahnheilkunde und Medizin in München, später in Kiel, wo er Ende 1932 das zahnärztliche Staatsexamen bestand und im Folge- jahr „Über die Lymphogranulomatose“ zum Dr. med. dent. promovierte. 2 Im November 1932 erhielt er die Ap- probation als Zahnarzt. Zu diesem Zeitpunkt praktizierten in Deutschland rund 15.000 Zahnärzte und knapp 20.000 nichtakademische Dentisten. 3 Nach seiner Zulassung fungierte Sonntag zwei Jahre lang als Assistent von Albin Hentze an der Universitätszahnklinik in Kiel. Ab Herbst 1934 war er in der Stadt als Zahnarzt niedergelassen; hier praktizierte er für etliche Jahre in der Nähe des Universitätsklinikum in der Dahlmannstraße. 4 In den Folgejahren nahm er das zwischenzeitlich ausgesetzte Medizin- studium wieder auf und absolvierte 1938 an der Universität Kiel die ärzt- liche Prüfung. Nach dem Praktischen Jahr erlangte er im Mai 1939 die ärztliche Approbation. Zu einer fachärztlichen Weiterbildung oder einer praktisch- ärztlichen Tätigkeit kam es aber nie. Sonntag galt schon in den Anfängen seines Studiums als begeisterter Natio- nalsozialist. Der NSDAP trat er – wie viele zeitgenössische Zahnärzte 5 – im Jahr 1933 bei (Nr. 2.683.413) und der Allgemeinen SS im Januar 1934. Seit Spätsommer 1939 war Sonntag zudem Mitglied der Waffen-SS; hier arrivierte er bis 1942 zum SS-Hauptsturmfüh- rer. 6 Die Waffen-SS war die radikalste NS-Organisation – sie stand wie keine andere für Staatsterror, Verfolgung und Massenmord. Ihr schlossen sich etwa 300 Zahnärzte an. 7 IM KZ FÜHRTE ER MENSCHENVERSUCHE DURCH Aus dem Kreis der Waffen-SS rekrutierten sich auch die KZ-Zahnärzte und -Ärzte. Sonntag war hier keine Ausnahme: Von Herbst 1939 bis Ende Februar 1940 war er im KZ Sachsenhausen tätig, wo er an Menschenversuchen beteiligt war. Rinnen et al. fassen den Sachverhalt wie folgt zusammen 8 : „He [...] participated in experiments involving the powders F1000 and F1001, which were used to develop resistance to mustard gas; these experiments were carried out on 50 prisoners.” Bei „mustard gas” („Senfgas“) handelte es sich um den Kampfstoff Lost, der bereits im Ersten Weltkrieg eingesetzt wurde. Die Versuche wurden damit begründet, dass es wichtig sei, für den Fall feindlicher Gasangriffe über Gegenmittel zu verfügen. Bei den Versuchen wurde die Haut der Opfer mit dem Giftgas bestrichen. Die auftretenden Verletzungen wurden registriert und mit Versuchsstoffen wie F1001 (Bezeichnung für eine modifi- zierte Form des Heilpulvers „Frekasan“) „behandelt“. Ein ehemaliger Häftling gab späterhin hierzu zu Protokoll: ,,Das Gift wurde im septischen OP durch Dr. Sonntag aufgetragen. Die Häftlinge gingen anschließend in ihre Baracken zurück. Nach 24 Stunden mußten sie sich wieder vorstellen. In dieser Zeit stellten sich auf den Impfstellen große Blasen – wie bei einer Verbrennung – ein, begleitet von hohem Fieber. Nach einigen Tagen erstreckten sich diese Verbrennungen auf den ganzen Arm und teilweise bis auf den Hals. Alle 24 Stunden wurden die Verletzungen fotographiert, um die Entwicklung festzuhalten. Jeder wurde mit einem anderen Mittel behandelt, so daß die Aufnahmen auch die Wirkung des be- treffenden Medikamentes festhielten.“ 9 Einige KZ-Insassen starben an den Fol- gen. In Sonntags eigenem schriftlichem Bericht, der im Oktober 1939 über 23 geimpfte Fälle dokumentiert, klingt der Sachverhalt weitaus harmloser 10 : Dort ist von „Impflingen“ die Rede, das Ap- plizieren des chemischen Kampfstoffs wird lapidar als „Impfung“ bezeichnet und verbrannte Areale als „Impfstellen“. Nach dem Aufenthalt in Sachsenhausen absolvierte Sonntag eine kurze Mili- tärübung in Stralsund und wurde 1 Die vorliegenden Ausführungen fußen wesentlich auf Stoll (2002), Klee (2003), 290–293, und Rinnen/Westemeier/Gross (2020); 2 Sonntag, 1933; 3 Groß, 2019, 38; 4 DZB, 1938, Teil C, 263; DZB, 1941, Teil C, 254; 5 Schwanke/Krischel/Groß, 2016; Groß, 2018; Groß/Westemeier/Schmidt/Halling/ Krischel, 2018; 6 Stoll, 2002, 921f.; Klee, 2013, 588; 7 Westemeier/Groß/Schmidt, 2018; 8 Rinnen/Westemeier/Groß, 2020; Vgl. auch Stoll, 2002, 926; 9 Stoll, 2002, 923; 10 Ebenda 54 | GESELLSCHAFT

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