Zahnärztliche Mitteilungen Nr. 09
zm 110, Nr. 9, 1.5.2020, (924) In der Folge übernahm Cohen 1953 die Leitung des Referats Zahnärztliche Versorgung, später des Sektors Stoma- tologie. Seit der Gründung 1950/1951 gehörte sie der Redaktion der Zeit- schrift „Deutsche Stomatologie“ an, in der sie auch veröffentlichte. 1961 wurde Cohen Obermedizinalrat, 1962 erhielt sie die Anerkennung als Fach- zahnärztin für Kinderzahnheilkunde, wobei unklar bleibt, ob sie noch prak- tisch tätig war. Gerade die auf Präven- tion setzende Kinderzahnheilkunde passte gut zu den sozialhygienischen Konzepten, die in der DDR verfolgt wurden. 11 Ziel der Gesundheitsversorgung war eine „Einheit von Vorbeugung, Behandlung und Nachsorge“. 12 Für ihre Verdienste um die zahnärzt- liche Prävention und den Einheits- stand von Zahnärzten und Dentisten wurde Cohen 1959 mit der Verdienst- medaille der DDR, 1960 mit der Hufe- land-Medaille in Silber, 1965 mit dem Titel Verdienter Arzt des Volkes und 1972 mit dem Vaterländischen Ver- dienstorden in Bronze ausgezeichnet. 13 Noch über das Erreichen der Alters- grenze hinaus arbeitete Cohen bis 1972 für das Ministerium für Gesund- heitswesen der DDR. 14 Sie verstarb 1976 in Berlin. „DER PLATZ DER INTELLIGENZ AN DER SEITE DER ARBEITER“ In ihrer autobiografischen Skizze, post- hum 1982 in der DDR veröffentlicht, geschrieben zwischen 1966 und 1972, stellt sich Cohen als überzeugte Sozia- listin dar. Beispielsweise berichtet sie, bereits während ihrer zahnärztlichen Tätigkeit in Westfalen habe sie von einem Bergarbeiter gelernt, dass „Ras- senfragen, auch der Antisemitismus, mit dem ich ja bereits oft genug kon- frontiert wurde, im Grunde genommen von der herrschenden Klasse benutzt werden, um von der Klassenfrage abzu- lenken“. In der Folge habe sie sich mit „einigen Zusammenhängen zwischen Politik und Ökonomie“ beschäftigt und sei als Absolventin der höheren Schule und Universität zu der Frage gelangt: „Ist der Platz der Intelligenz an der Seite der Arbeiter?“ 15 Gleichzei- tig fällt auf, dass die antisemitische Diskriminierung thematisiert wird, die jüdische Religion in der Autobiografie aber keine Rolle spielt. An einer Stelle nennt Cohen als Grund für ihren Eintritt in die KPD 1937 die „zutiefst humanistischen Ziele der Partei“. 16 Die Lebensgeschichte von Jenny Cohen zeigt, dass Antisemitismus be- reits in der Weimarer Republik existierte und Karrierewege beeinflusste. Cohens Emigrationsgeschichte verlief über viele unterschiedliche Etappen. Im Gegen- satz zu vielen anderen aus Deutsch- land vertriebenen Personen kehrten die Cohens nach dem Zweiten Welt- krieg nach Deutschland zurück und es gelang Jenny Cohen, in der SBZ und der DDR eine Karriere als Gesundheits- politikerin zu machen. Damit bildet sie eine große Ausnahme. \ TÄTER UND VERFOLGTE Die Reihe „Zahnärzte als Täter und Verfolgte im ‚Dritten Reich‘“ läuft das gesamte Kalenderjahr 2020. In der zm 10/2020 folgen Reinhold Ritter und Erich Kohlhagen, in der zm 11/2020 Wilhelm Gröschel und Engelbert Decker. Jenny Cohen, circa 1930er-Jahre Foto: Prof. Walter Künzel, Erfurt, mit freundlicher Genehmigung Jenny Cohen, circa 1972 Foto: Prof. Walter Künzel, Erfurt, mit freundlicher Genehmigung 11 Ernst, 1997; 12 Schleiermacher, 2009, 83; 13 Albrecht/Hartwig, 1982; 14 Voigt/Voigt, 1981, 34; 15 Cohen,1982, 118; 16 Cohen,1982, 123 58 | GESELLSCHAFT
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