Zahnärztliche Mitteilungen Nr. 09
zm 110, Nr. 9, 1.5.2020, (941) Versicherte mit einer dokumentierten Diabetes-Erkrankung. Wird nur die Inanspruchnahme von Parodontal- behandlungen betrachtet, zeigen sich keine deutlichen Unterschiede zwischen den Versicherten mit und ohne Diabetes. Bei Versicherten mit beziehungsweise ohne KHK zeigen sich keine großen Unterschiede in der zahnmedizinischen Inanspruch- nahme. Personen ohne Schlaganfall nehmen im Jahr 2016 häufiger min- destens eine zahnärztliche Behandlung wahr im Vergleich zu Personen mit Schlaganfall. Parodontalbehandlungen werden bei Personen sowohl mit als auch ohne Schlaganfall selten in Anspruch genommen. Zur Beantwortung der Frage, in welchem Umfang Parodontalbehandlungen vor und nach der erstmaligen Dokumenta- tion einer der hier untersuchten chro- nischen Erkrankungen durchgeführt wurden, werden Neuerkrankte unter- sucht (Studienpopulation 2). In die Analyse konnten 23.771 Versicherte mit inzidentem Diabetes, 21.263 Versicherte mit inzidenter KHK und 5.076 Versicherte mit inzidentem Schlaganfall eingeschlossen werden. Die Ergebnisse zeigen, dass sowohl bei Versicherten mit inzidentem Diabetes als auch bei Versicherten mit inziden- ter KHK die Inanspruchnahme min- destens einer Parodontalbehandlung nach Diagnosestellung leicht zu- nimmt. Dabei bleibt der Anteil an Ver- sicherten mit Parodontalbehandlung mit unter 5 Prozent weiterhin auf sehr niedrigem Niveau (Tabelle 2). Bei Ver- sicherten mit inzidentem Schlaganfall in 2013 zeigen sich hingegen vor und nach Indexquartal keine Änderungen im Inanspruchnahmeverhalten. DISKUSSION Die Analyse der Krankenkassendaten zeigt, dass Versicherte mit dokumen- tiertem Diabetes oder Schlaganfall etwas seltener im Jahr den Zahnarzt aufsuchen als ihre Vergleichspersonen ohne die jeweilige Erkrankung. Auch aus anderen Ländern (USA, Kanada) wird berichtet, dass beispielsweise Patienten mit Diabetes (signifikant) seltener einen Zahnarzt aufsuchen im Vergleich zu Patienten ohne Diabetes [Lessem, 2017; Zangiabadi et al., 2017], jedoch zu einem hohen Anteil unter Parodontitis leiden [Liu et al., 2018; Verhulst et al., 2019a]. In den Niederlanden – hier wird in der Diabetes-Leitlinie Mundgesundheit thematisiert – gab ein Viertel der über Hausarztpraxen für eine Studie rekru- tierten Diabetespatienten an, nicht regelmäßig, das heißt mindestens einmal pro Jahr, einen Zahnarzt auf- zusuchen, wobei 30 Prozent auch berichteten, keine Versicherung für Zahnarztkosten zu haben [Verhulst et al., 2019a]. Alles in allem hatten in unserer Studie circa 25 bis 40 Prozent der untersuch- ten Fälle und Kontrollen keinen Zahn- arzt im Beobachtungsjahr aufgesucht, so dass ein deutliches Verbesserungs- potenzial in der Versorgung vorhanden ist. Dies setzt – wie auch in der inter- nationalen Literatur vermerkt – Kennt- nisse über die Zusammenhänge auf- seiten der Patienten voraus, sowie eine höhere Aufmerksamkeit für diese Thematik bei (Zahn-)Medizinern: Pa- tienten könnten beispielsweise durch ihre Hausärzte oder behandelnden Spezialisten auf die Notwendigkeit eines Zahnarztbesuchs und vice versa hingewiesen werden. Es kann jedoch davon ausgegangen werden, dass – wie von Bissett et al. [2019] für Nord-Eng- land beschrieben – auch in Deutsch- land bislang weder durch Hausärzte noch Zahnärzte konsequent eine Emp- fehlung für einen entsprechenden Arztbesuch erfolgt [Holzinger et al., 2016; Smits et al., 2019]. Bislang sind die Empfehlungen in Deutschland noch nicht in Leitlinien aufgenom- men worden, jedoch wird gegenwärtig federführend von der Deutschen Ge- sellschaft für Zahn-, Mund- und Kiefer- heilkunde, der Deutschen Gesellschaft für Parodontologie e.V. und der Deut- schen Diabetes Gesellschaft e. V. eine Leitlinie zu Diabetes und Parodontitis erarbeitet, die Ende 2020 erscheinen soll [AWMF, 2020]. Die Unterschiede bei der Inanspruch- nahme von Parodontalbehandlungen sind, wie unsere Analysen zeigen, zwischen den Erkrankten und ihren Kontrollen geringer im Vergleich zu den Ergebnissen der allgemeinen zahnärztlichen Inanspruchnahme. Ver- sicherte ohne die hier betrachteten chronischen Erkrankungen gehen zwar zu einem höheren Anteil zum Zahnarzt, erhalten aber in ähnlichem Umfang Parodontalbehandlungen. Dies könnte auf einen geringeren Bedarf an Parodontalbehandlungen hinweisen, da möglicherweise not- wendige Parodontalerkrankungen durch eine höhere Inanspruchnahme eines Zahnarztes aufgedeckt worden wären. Vor dem Hintergrund der Ergebnisse von Verhulst et al. [2019a], der bei rund 70 Prozent der befragten Diabetespatienten eine Parodontitis feststellte, sowie den Daten der Fünften Deutschen Mundgesundheitsstudie, in der höhere Altersgruppen häufiger eine schwere Parodontalerkrankung auf- weisen [Jordan et al., 2016], ist jedoch in den in dieser Arbeit betrachteten Gruppen, unter anderem durch den hohen Altersdurchschnitt, von einer unter dem Versorgungsbedarf liegenden Behandlungsrate auszugehen. Versicherte mit inzidenter chronischer Erkrankung und Inanspruchnahme mindestens einer Parodontalbehandlung zwei Jahre vor beziehungsweise nach Indexquartal Diabetes KHK Schlaganfall Tab. 2, Anteil an allen mindestens 18-jährigen und zwischen 2011–2016 durchgängig Versicherten mit inzidentem Diabetes, KHK beziehungsweise Schlaganfall Quellle: PMV forschungsgruppe, 2020 8 Quartale vor Indexquartal Anzahl 683 607 123 % 2,9 2,9 2,4 8 Quartale nach Indexquartal Anzahl 1.116 898 123 % 4,7 4,2 2,4 | 75
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