Zahnärztliche Mitteilungen Nr. 10
zm 110, Nr. 10, 16.5.2020, (995) A lten- und Pflegeheime gelten als besonders gefährliche Orte für eine Infektion. Durch den Besu- cherverkehr wird das Virus leicht ein- geschleppt oder mitgenommen, noch dazu zählen die Bewohner zur Hoch- risikogruppe. Welche Maßnahmen man ergreifen kann, haben Epidemiologen beispiel- haft anhand der Virusbeobachtung und -auswertung im Landkreis Witten- berg in Sachsen-Anhalt analysiert, ver- öffentlicht im Epidemiologischen Bul- letin 20/2020 des Robert Koch-Instituts (RKI). Experten werteten hier den ers- ten Monat nach der ersten registrierten Infektion aus, um daraus ihre Empfeh- lungen abzuleiten – vor allem für die Alten- und Pflegeheime. DIE ERSTE INFEKTION WURDE AM 4. MÄRZ ENTDECKT Der Landkreis Wittenberg Osten von Sachsen-Anhalt hat 125.000 Einwoh- ner und neun Gemeinden. Der erste Infektionsfall wurde am 4. März ent- deckt und am 11. März dem Gesund- heitsamt übermittelt. Bis zum 7. April wurden 121 Infektionen registriert, da- runter drei Todesfälle und zehn Fälle, die hospitalisiert wurden. Die infizierten Personen waren im Durchschnitt 54 Jahre alt. Besonders viele Fälle wurden in der Stadt Jessen (14.100 Einwohner, 55 Prozent aller Infektionen im Landkreis) registriert. DAS DURCHSCHNITTSALTER BETRUG 54 JAHRE Hier fiel ein Infektionscluster in Zusammenhang mit dem dortigen Alten- und Pflegeheim auf. Seine Ver- größerung konnte durch frühe Entde- ckung, akribische Zurückverfolgung und Maßnahmen aber unterbunden und kontrolliert werden. Dafür wurde die Stadt größtenteils abgeriegelt. Bereits zehn Tage nach den strengen Maßnahmen zeigte sich der Erfolg und die Abriegelung wurde wieder aufge- hoben. ck/LL RKI-ANALYSE UND -EMPFEHLUNGEN Das Jessen-Cluster umfasst bis zum 7. April insgesamt 67 von 121 Fällen im Landkreis Wittenberg sowie einen Fall in Brandenburg. Der erste bekannte Erkrankungsbeginn ist der 11. März: In einer Gruppe von vier Rückkehrern aus einem Skiurlaub im Salzburger Land erkrankten drei an COVID-19. Das Robert Koch-Institut (RKI) empfiehlt rückblickend Folgendes: Alten- und Pflegeheim: \ Die Krankenhäuser im Kreis konnten frühzeitig auf eine mögliche Welle an Aufnahmen aus dem Heim vorbereitet werden. Eine frühe Entdeckung im Heim selbst wäre vermutlich durch das Führen von Symptomtagebüchern (tägliche Surveillance für respiratorische Symptome bei Personal und Bewohnern) durch die Pflegekräfte und niedrigschwellige Testung bei symptomatischen Pflegekräften und Bewohnern begünstigt worden. \ Die Übertragung des Virus durch eine Pflegekraft hätte rückblickend vielleicht verhindert werden können, wenn die Pflegekräfte bei der Pflege präventiv konsequent Mund-Nasen-Schutz getragen hätten. \ Besucher, aber auch Handwerker und Therapeuten, sollten bei der Auflistung von Kontaktpersonen beachtet werden. Dies gelingt am Einfachsten durch das Führen einer Liste aller Besucher Übertragung am Arbeitsplatz: \ Die beiden erwähnten Cluster am Büroarbeitsplatz zeigen, dass unerkannte Fälle auch in dieser Umgebung schnell Ausbrüche auslösen können, die mindestens in die Haushalte der Erkrankten ausstrahlen und auch geografisch weit streuen können, wenn sie nicht schnell erkannt werden. \ Auf Cluster respiratorischer Symptomatik am Arbeitsplatz sollte aktuell niedrig- schwellig mit Tests auf COVID-19 reagiert werden, und Kontaktpersonen der Kategorie I am Arbeitsplatz sollten nicht zu restriktiv aufgelistet werden. Wirken der bundesweiten Kontaktbeschränkungen: \ Im Jessen-Cluster sieht man gut, dass vor allem die bis zum 23. März (Inkrafttreten der bundesweiten Kontaktbeschränkungen) gemeldeten Fälle und Übertragungen außerhalb von Haushalt und sonstiger Familie ausgehen. Der Subausbruch im Altenpflegeheim zeigt aber auch, wie eine familiäre Übertragung von einem in Österreich infizierten Indexfall auf eine Pflegekraft noch vor Diagnose einen explo- siven Ausbruch unter den Bewohnern ausgelöst hat. \ Die Weitergabe der Information zu Kontaktpersonen über Kreisgrenzen hinweg funktioniert leider nicht immer perfekt. Nicht zuletzt deswegen empfiehlt es sich neben der Vorwärtsermittlung von Kontaktpersonen und deren Überwachung bei jedem neuen Fall auch retrospektive Ermittlungen zu dessen möglichen Infektions- quellen durchzuführen. So können Infektionscluster ausgehend von asymptomati- schen oder nicht getesteten symptomatischen Infizierten in einem früheren Stadium entdeckt und bekämpft werden. Frank C, Lewandowsky M, Saad N, Wetzel B, Göbel S, Hable M: Der erste Monat mit COVID-19-Fällen im Landkreis Wittenberg, Sachsen-Anhalt.Epid Bull 2020;20:3 – 11 | DOI 10.25646/6788 | 33
Made with FlippingBook
RkJQdWJsaXNoZXIy MjMxMzg=