Zahnärztliche Mitteilungen Nr. 10
zm 110, Nr. 10, 16.5.2020, (1029) Senkungsgeschwindigkeit), die mikro- biologische Untersuchung (Erreger- nachweis) sowie insbesondere die entsprechende Bildgebung in der Zusammenschau der Befunde die Ver- dachtsdiagnose einer Osteomyelitis, die abschließend histopathologisch gesichert werden sollte. Hinsichtlich der bildgebenden Dia- gnostik kann die Panoramaschicht- aufnahme besonders in fortgeschritte- nen Stadien typische osteomyelitische Veränderungen darstellen, beispiels- weise einen wolkig- und polyzistisch veränderten Kieferknochen, Sklerosie- rungen und Periostschwielen. Des Weiteren eignen sich die 99mTc- Knochenszintigrafie und das SPECT (Single Photon Emission Computed Tomography)-CT zur weiteren bild- gebenden Diagnosefindung [Ogura et al., 2019]. Zu beachten ist jedoch, dass sowohl die 99mTc-Knochen- szintigrafie als auch das SPECT-CT bei frühen und noch nicht sehr ausge- dehnten Befunden und hoher Sensiti- vität auch sehr unspezifische Befunde liefern können. Besonders in der frühen Phase der akuten Osteomyelitis können konventionelle radiologische Befunde wie zum Beispiel in der Panoramaschichtaufnahme völlig unspezifisch oder gar nicht vorhanden sein. Im fortgeschrittenen Stadium er- möglichen das DVT und das CT eine detaillierte Darstellung des Umfangs und der Ausdehnung der Osteomyelitis. Charakteristisch ist dabei in vielen Fällen ein Zusammenspiel aus osteolytischen und sklerosierenden Bereichen. Die Therapie der Osteomyelitis be- inhaltet in erster Linie die systemische (meist intravenöse), hochdosierte und breite Antibiotikatherapie, beispiels- weise mit einem Aminopenicillin in Kombination mit einem Penicillinase- inhibitor. Die Wahl des Antibiotikums kann dabei vom Erregernachweis und von möglichen Resistenzen im Anti- biogramm beeinflusst werden. Nach wie vor ungeklärt ist die Frage, ob die parenterale der oralen Antibiotika- therapie bei der Behandlung der Osteomyelitis zwingend überlegen ist. In vielen Fällen folgt die ambulante orale Antibiose der parenteralen Gabe während eines stationären Aufenthalts. Auch die ideale Dauer der Antibiotika- therapie ist nicht abschließend geklärt, wobei eine Gabe über mehr als vier bis sechs Wochen bis hin zu mehreren Monaten empfohlen wird [Spellberg und Lipsky, 2012]. Daneben bilden die Sanierung des möglichen Fokus, die Dekortikation des Kieferknochens und die Entfer- nung von Sequestern und möglichen Totenladen etablierte chirurgische Therapieverfahren. Zusätzlich können Bisphosphonate oder andere Anti- resorptiva, wie zum Beispiel RANKL- Antikörper, eingesetzt werden [Hallmer et al., 2018]. Aufgrund des Risikos einer dadurch bedingten Antiresorptiva- induzierten Osteonekrose des Kiefer- knochens (AR-ONJ) müssen die betrof- fenen Patienten vor, während und nach der Therapie in ein engmaschiges Pro- phylaxe- und Recallprogramm einge- bunden werden. Bei weiterer Progredienz kann eine Unterkieferteil- beziehungs- weise Kontinuitätsresektion erforder- lich sein. Supportive Therapieoptionen wie zum Beispiel die hyperbare Sauer- stofftherapie konnten die in sie ge- steckten Erwartungen nicht erfüllen [Re et al., 2019]. Mögliche Differenzialdiagnosen der Osteomyelitis sind die infizierte Osteo- radionekrose (IORN) im Sinne einer strahleninduzierten Devitalisierung des Kieferknochens (Devaskularistion, Hypoxie, Schädigung osteogener Zellen) sowie die AR-ONJ. Beide Differenzial- diagnosen können anamnestisch bei Fehlen der entsprechenden Faktoren (vorangegangene oder laufende Radiatio beziehungsweise Antiresorptivatherapie) ausgeschlossen werden. Allen drei Krankheitsbildern gemeinsam sind allerdings der nekrotische Knochen, die Inflammation und reaktive Knochen- veränderungen. Ebenfalls finden sich meist bakterielle Besiedelungen, die bei der Osteomyelitis kausal und bei der IORN und der AR-ONJ meist mit einer Superinfektion beziehungsweise als Co- Faktor in Verbindung stehen [Shuster et al., 2019]. Histopathologisch scheint bei der IORN die Anzahl an leeren Knochen- lakunen im Vergleich zur Osteo- myelitis und AR-ONJ signifikant er- höht zu sein [De Antoni et al., 2018]. Als weitere mögliche Differenzial- diagnosen kommen intraossäre und odontogene Tumoren in Betracht, zum Beispiel das Osteosarkom. Auch die Langerhans‘sche Zell-Histiozytose und aseptische Knochennekrosen sind als Differenzialdiagnosen beschrieben [Kim et al., 2019]. \ OBERSTARZT PROF. DR. DR. RICHARD WERKMEISTER Klinik VII; Mund-, Kiefer- und Plastische Gesichtschirurgie Bundeswehrzentralkrankenhaus Rübenacherstr. 170, 56072 Koblenz Foto: BWZK FAZIT FÜR DIE PRAXIS \ Bei Verdacht auf eine Osteomyelitis des Kieferknochens sollte unmittelbar eine Überweisung an eine Klinik mit der Möglichkeit einer stationären Therapie erfolgen. \ Neben einer systemischen, breiten und hochdosierten Antibiotikatherapie und gegebenenfalls chirurgischen Therapie muss eine adäquate Schmerztherapie dringend empfohlen werden, um einer möglichen Chronifizierung der Schmerz- symptomatik zeitnah zu begegnen. \ Die frühzeitige Diagnostik und Therapie beeinflusst die Prognose entscheidend. Wenn therapeutisch möglich sollte eine Exartikulation des Kiefergelenks vermieden werden. ZM-LESERSERVICE Die Literaturliste kann auf www.zm-online.de abgerufen oder in der Redaktion angefordert werden. | 67
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