Zahnärztliche Mitteilungen Nr. 10

zm 110, Nr. 10, 16.5.2020, (1030) ZM-SERIE: TÄTER UND VERFOLGTE IM „DRITTEN REICH“ Reinhold Ritter – Verfechter von Zwangssterilisationen bei LKG-Spalten Dominik Groß und Mathias Schmidt Reinhold Oskar Franz Ritter (1903–1987) zählte im Nachkriegsdeutschland zu den erfolgreichsten Professoren der Zahnheilkunde. Die Liste seiner Ämter und Auszeichnungen ist imposant: Dekan der Medizinischen Fakultät Heidelberg, Präsident der „Deutschen Gesellschaft für Kieferorthopädie“, Träger der Ehrennadel der „Deutschen Zahnärzteschaft“, Vorsitzender und Ehrenmitglied der „Vereinigung der Hochschullehrer für ZMK-Heilkunde“ und berufenes Mitglied der „Leopoldina“. Im „Dritten Reich“ befürwortete er ohne Not Zwangssterilisationen von Spaltpatienten. 1 R itter wurde am 15. Februar 1903 in Servitut (heute Serwitut) in Oberschlesien als Sohn des katho- lischen Försters Franz Ritter geboren. 1924 legte er in Freiburg/ Schlesien die Reifeprüfung ab und studierte anschließend Zahnheilkunde und Medizin in Breslau. 1928 bestand er die zahnärztliche Prüfung und promovierte zum Dr. med. dent. 2 Seit Oktober 1928 fungierte er als Assistent und ab 1934 als stellvertretender Abteilungsleiter am Zahnärztlichen Institut der Universität Breslau. 3 Ritter war zweimal verheiratet. Aus ers- ter Ehe stammte seine 1932 geborene Tochter Sigrid. Hierzu heißt es in den Archivakten, dass seine (nicht näher benannte) erste Ehefrau „seit der Geburt des ersten und einzigen Kindes, etwa ab 1932 geisteskrank war“. 4 Näheres ist nicht dokumentiert. 1936 ging Ritter eine zweite Ehe mit Marianne Hecht ein. Aus dieser Beziehung ging die 1941 geborene Tochter Katharina hervor. 5 1935 erlangte Ritter den „Fachzahnarzt für Kieferorthopädie“. 1936 konnte er sich „Über die Frage der Vererbung von Anomalien der Kiefer und Zähne“ habi- litieren und 1937 erfolgte die Ernennung zum Dozenten. 6 Im Juni 1937 beantragte Ritter die Mitgliedschaft in der NSDAP (Nr. 4.659.089). Der SA war er bereits 1934 beigetreten. Hinzu kamen etliche wei- tere Mitgliedschaften in NS-Organisa- tionen, so im NS-Lehrerbund, im NS- Dozentenbund, im NS-Altherrenbund, im Reichsluftschutzbund und in der NS-Volkswohlfahrt. 7 ER WAR MTGLIED IN VIELEN NS-ORGANISATIONEN 1938 wurde er in Breslau auf Initiative seines Vorgesetzten Hermann Euler zum Leiter der Abteilung für Zahn- erhaltung bestellt; seit September 1939 leitete Ritter überdies die dortige Abtei- lung für „Zahnärztliche Prothetik und Orthodontie“. In dieser Zeit gelang es Ritter auch, das ausgesetzte Medizin- studium wieder aufzunehmen, das er 1940 mit dem Dr. med. ab schloss; im selben Jahr erhielt er die Bestallung als Arzt. Ritters letzte Karrierestation im „Dritten Reich“ war dann die Ernennung zum außerplanmäßigen Professor in Breslau am 2. Juli 1943. 8 Die Kriegsereignisse führten Ritter ins Kriegslazarett Breslau und (nach der Flucht aus Breslau im Januar 1945) auch ins Lazarett Bad Lausick bei Leipzig – hier sammelte er operative beziehungs- weise kieferchirurgische Erfahrungen. Bei Kriegsende geriet er in amerikanische Gefangenschaft, aus der er im Februar 1946 entlassen wurde. Im März 1946 fand er eine Anstellung als Lazarettleiter in Marburg, und im November wurde Ritter kommissarischer Leiter des dor- tigen Zahnärztlichen Instituts. Zu dem Zeitpunkt war die Heidelberger Medizi- nische Fakultät an einer Berufung Rit- ters interessiert, allerdings lehnte die amerikanische Militärregierung diese zunächst ab. Erst nach Abschluss eines beschleunigten Entnazifizierungsverfah- rens im Oktober 1946 änderte sich die Lage: Im Mai 1947 wurde er zum außer- ordentlichen Professor und Direktor der Klinik für „Mund-, Zahn- und Kiefer- kranke“ der Universität Heidelberg ernannt. Im August 1951 wurde er persönlicher Ordinarius und schließlich im Juli 1956 planmäßiger ordentlicher Professor. 9 Bis zu seiner Emeritierung 1971 war Ritter der einzige planmäßige Professor der besagten Klinik; er gehörte damit zu den letzten Hochschullehrern, die noch das gesamte Fach der Zahnheil- kunde repräsentierten. Ritter starb am 11. September 1987 in Heidelberg. Die Fakultät richtete ihm zu Ehren am 1 Die folgenden Ausführungen fußen in den zentralen Teilen auf Groß/Westemeier/Schmidt, 2018b. Vgl. ferner DBA (1989–1999), Auerbach, 1979, 347, Drüll, 2009, 497, und Klee, 2013, 499; 2 Ritter, 1928; 3 Groß/Westemeier/Schmidt, 2018b, 285f.; 4 HHStA Wiesbaden, Abt. 520/27, Nr. 4543, 1946 (Bescheinigung von Leo Schumann vom 16.4.1946); Groß/Westemeier/Schmidt, 2018b, 286; 5 LAA Bayreuth, ZLA 1/10174429; Groß/Westemeier/ Schmidt, 2018b, 286; 6 Groß/Westemeier/Schmidt, 2018b, 286; 7 BArch Berlin, R 9361-VI/2487, R 9361-IX/35100919, R 9361-IX/35100919, R 9361-IX/17000228, VBS 1/1140039085; Groß/Westemeier/Schmidt, 2018b, 311f.; 8 Groß/Westemeier/Schmidt, 2018b, 286; 9 Groß/Westemeier/ Schmidt, 2018b, 287 68 | GESELLSCHAFT

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