Zahnärztliche Mitteilungen Nr. 11
zm 110, Nr. 11, 1.6.2020, (1080) einzelnen, detaillierten Schritte zur Infektionsvermeidung in Ihrer Zahnarztpraxis sind, ruft Ihre Rezeptionsmitarbeiterin einen Patienten nach dem anderen an und lädt zu einer Präsentation der besonderen Art in Ihrer Zahnarztpraxis ein: „Wir wissen, dass bei vielen Menschen derzeit die Sorge um- geht, sich mit dem Corona-Virus anzustecken. Vielleicht denkt der ein oder andere, dass dies auch in einer Zahnarztpraxis der Fall sein könnte. Deswegen haben wir uns in der Praxis gedacht, dass wir Sie gern einladen möchten, um Ihnen unser sicheres und bewährtes Hygienekonzept vorzustellen. Natür- lich unter Wahrung der Abstandsregeln und selbstverständ- lich brauchen Sie keine Nasen-Mund-Maske mitzubringen, die gibt es hier in der Praxis für Sie.“ So oder so ähnlich könnte es sich anhören, wenn der Patient den Telefonhörer abnimmt und die Stimme Ihrer Mitarbeiterin hört. Es drängt auch die Zeit, etwas für die mittel- und langfristige Entwicklung zu tun. Denn das medizinische Problem mit dem Corona-Virus ist das Eine, doch das Schwierigste steht noch bevor, wenn nämlich klar wird: Immer mehr funktioniert in der Wirtschaft nicht mehr. Jedenfalls nicht ein immer Mehr an Quantität. Ein Paradigmenwechsel ist unausweichlich. Nur wer es jetzt schafft, eine Inventur zu machen, sich hin- setzt und sein eigenes Praxiskonzept hinterfragt, wird die Zukunft mit seiner Zahnarztpraxis erleben. Es geht nicht mehr darum, sich an prognostizierbare Sicherheit zu klammern. Denn die gibt es nicht mehr und die kommt auch nicht wieder. Ist Ihnen schon aufgefallen, wie häufig von Politikern und Medien die Worte „neue Normalität“ in den Mund genommen werden? Die erste Welle des Virus hat das deutsche Gesundheitssystem nicht an den Rand des Kollapses gebracht. Aber jetzt wird bereits vor einer zweiten und dritten Welle gewarnt. Mit anderen Worten, die der- zeitigen Verhältnisse werden sich nicht morgen bereits ändern. Machen Sie sich auf einen längeren Prozess gefasst, von dem noch niemand weiß, was er bringt. Sie haben aber Ihre Mitarbeiterinnen aus der Kurzarbeit zurückgeholt und können gleich loslegen. Fragen Sie sie, wie sie rückwirkend die Entwicklung der Praxis betrachten. Was ist ihnen dabei aufgefallen, was nicht optimal lief. Ihre Mitarbeiterinnen sind diejenigen, die die Informationen von Patienten bekommen. Was Patienten bisher nicht ge- fallen hat, womit sie unzufrieden waren, was Patienten sich gegebenenfalls gewünscht hätten. FANGEN SIE AN ZU ENT-WICKELN – IM WAHRSTEN SINNE DES WORTES Nehmen Sie Ihre Mitarbeiterinnen und spielen Sie mit ihnen den gesamten Ablauf der Behandlung durch. Fangen Sie mit der Terminvergabe an, und machen Sie weiter, wenn der Patient Ihre Zahnarztpraxis betritt, sich an der Rezeption anmeldet, ins Wartezimmer setzt und ins Behandlungs- zimmer geholt wird. Gehen Sie auch die Situation im Behandlungszimmer durch und genauso den Moment, wo der Patient an der Rezeption verabschiedet wird. Wichtig hierbei ist: Jede und jeder ist einmal der Patient. Auch Sie selbst als Praxisinhaber. Setzen Sie sich anschließend oder am nächsten Tag zusammen und sprechen Sie darüber, was jedem Einzelnen positiv und negativ aufgefallen ist, was man verändern und besser machen kann. Fragen Sie auch danach, wie man die Prozesse anders und besser struk- turieren kann. Jeder Vorschlag ist erlaubt. Ein „geht nicht, weil“ gibt es nicht. Lassen Sie es zu, dass Ihre Mitarbeiterinnen selbstorganisiert ihre Meinung sagen und sich in die Ent- wicklung einbringen. Ent-wickelt, das heißt, alles ist schon immer vorhanden, man muss es nur zulassen und entwickeln. Im Augenblick ist es bekanntlich nicht möglich, auf Partys zu gehen oder sich in Bars mit Bekannten und Freunden auszutauschen. Da wäre es doch eine Idee, im eigenen Gar- ten, auf der Terrasse oder dem Balkon über einige weitere konzeptionelle Anpassungen in Ihrer Zahnarztpraxis nach- zudenken. Welche Behandlungen können Sie besonders gut und welche davon machen Ihnen persönlich am meisten Spaß? Wie wäre es, wenn Sie diese zukünftig verstärkt an- bieten und auf alles andere weitgehend verzichten? Denken Sie einmal darüber nach. Was würde sich für Sie, Ihren Ar- beitsablauf, Ihre Mitarbeiterinnen, Ihre Patienten und Ihre Praxis verändern? WER SIND EIGENTLICH DIE PATIENTEN, DIE ZU IHNEN IN DIE PRAXIS KOMMEN? Und weil Sie gerade dabei sind, noch eine Idee zur langfristi- gen Praxiskonzeptentwicklung (und einige der wichtigsten Fragen, die Sie sich stellen sollten): Haben Sie sich schon einmal Gedanken dazu gemacht, wer die Zielgruppe für Ihre Praxis ist? Wer sind die Patienten, die zu Ihnen in die Praxis kommen? Welche Wünsche und Vorstellungen haben Ihre Patienten? Warum kommen diese Patienten ausgerechnet in Ihre Praxis? Was fragen Ihre Patienten nach? Fragen sie überhaupt etwas nach oder lassen sich nur passiv beraten? Welche Altersstruktur haben Ihre Patienten? Wie passt diese zu den von Ihnen angebotenen Leistungen? Wo kaufen Ihre Patienten ein, was genau machen sie beruflich und wohin fahren sie in Urlaub? Welche Verbindungen gibt es zwischen den Patienten? Wer hat wem Ihre Praxis empfohlen? Beginnen Sie jetzt damit, Behandlungen, die Ihnen selbst Spaß machen und von denen Sie denken, dass Sie diese be- sonders gut beherrschen, mit Ihrer Patienten- und Praxis- zielgruppe zu kombinieren. Qualitativ hochwertig und mit ausreichend Zeit, um mehr über Ihre Patienten während der Behandlung zu erfahren, wird dies langfristig ein wichtiges Mittel sein, um mit weiteren Maßnahmen Ihre Zahnarzt- praxis durch unruhige und unsichere Zeiten zu führen. Viel Spaß dabei – und schreiben Sie mir gern, wie gut es funktioniert hat: zm@zm-online.de . \ SVEN THIELE Zahnarzt und Autor Er praktizierte mehrere Jahre in London und war Dozent am Londoner King‘s College. Regelmäßig schreibt er für www.foreigndentist.wordpress.com . Foto: privat 22 | PRAXIS
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