Zahnärztliche Mitteilungen Nr. 11
zm 110, Nr. 11, 1.6.2020, (1126) Doch Nördlingen sollte nicht seine letzte Lebensstation bleiben: 31 Am 1. November 1956 erhielt er einen Ruf als Leiter der Zahnerhaltung an der Kölner Zahnklinik. Damit kehrte er in die frühere universitäre Position zurück. Hier „plante und überwachte er den Erweiterungsbau für die Abteilung für Zahnerhaltung“. 32 DIE UNIKLINIK KÖLN VERHALF IHM ZUR ZWEITEN KARRIERE Zugleich war nun der Startschuss für eine Karriere gelegt, die bald weit über die im „Dritten Reich“ erreichte Positi- on hinausweisen sollte: Am 27. April 1959 wurde er zum planmäßigen außerordentlichen Professor an der Zahn- und Kieferuniversitätsklinik Köln berufen. 33 Am 20. August 1964 erklomm er dann die vorletzte Stufe der professoralen Karriereleiter: Er wurde zum persönlichen ordentlichen Professor ernannt. 34 1968 folgte schließlich die Ernennung zum plan- mäßigen ordentlichen Professor. 35 Gröschel verstarb am 19. März 1972 in Köln – „noch vor seiner Emeritie- rung“. 36 Er hinterließ zwei Töchter und zwei Söhne, wobei letztere ebenfalls als Ärzte tätig waren. 37 Seine Nachfolge in Köln trat am 13. September 1972 Franz F. Eifinger (1931–2015) aus Bonn an. 38 Gröschels Vita ist aus verschiedenen Gründen von Interesse: Wie erwähnt, war er trotz weithin bekannter NS- Aktivitäten in der Bundesrepublik deut- lich erfolgreicher als im „Dritten Reich“. EXZELLENZ WAR NICHT DER GRUND FÜR DIE BEFÖRDERUNG Dies ist auch deshalb bemerkenswert, weil Gröschel nach 1945 nur eine mäßige Forschungs- und Publikations- tätigkeit entfaltete – wissenschaftliche Exzellenz war demnach kein Grund für den unvermuteten Karrieresprung. Die größte fachliche Beachtung fand Gröschel noch, wie Voß feststellte, für seine „experimentelle und histologi- sche Untersuchungen der Pulpa-Paro- dont-Behandlung bei nicht abgeschlos- senem Wurzelwachstum“. 39 Doch diese Studien hatte Gröschel in den 1930er Jahren durchgeführt. 40 Weitere Schwerpunkte Gröschels waren die Kavitätenpräparation, 41 der Einsatz von Metalllegierungen in der Zahnheilkun- de 42 und die Parodontopathien. 43 ER GALT ALS „ANGESEHENES MITGLIED DER GESELLSCHAFT“ Erwähnenswert ist auch, dass Grö- schels Rückkehr an die Universität un- ter den Kollegen kaum Irritationen hervorzurufen schien: In der Deut- schen Zahnärztlichen Zeitschrift (DZZ) hieß es hierzu 1957 lapidar: „Professor Dr. Wilhelm Gröschel hat seine Tätig- keit als Hochschullehrer in der Medizi- nischen Fakultät und an der Universi- täts-Zahn- und Kieferklinik Köln wieder aufgenommen.“ 44 Zu Gröschels 65. Geburtstag meldete dieselbe Zeitschrift Folgendes: Der DGZMK-Vorstand dürfe einem „ange- sehenen und allseits bekannten Mit- glied unserer Gesellschaft, Herrn Pro- fessor Gröschel, zum 65. Geburtstag gratulieren [...] Mit ihnen gemeinsam erinnern wir uns an seinem Jubiläums- tag dankbar dieses aufrechten und vorbildlichen Hochschullehrers“. 45 Gröschel war ein Mitarbeiter von Otto Walkhoff 46 und Hermann Groß sowie ein Weggefährte von Carl-Heinz Fischer 47 und Karl Friedrich Schmidhu- ber. Alle waren NSDAP-Mitglieder, doch vor allem Groß und Schmid- huber traten als überzeugte National- sozialisten hervor. Schmidhuber war im „Dritten Reich“ – ähnlich wie Gröschel in Würzburg und Köln – Lei- ter der Dozentenschaft und Dozen- ten(bund)führer der Universität Heidelberg; zudem arrivierte er zum SS-Hauptsturmführer. 48 Er wurde 1951 ordentlicher Professor an der Universi- tät zu Köln und dürfte wesentlich dazu beigetragen haben, dass Gröschel 1956 nach Köln berufen wurde. DIE NS-KOLLEGEN HIELTEN AUCH JETZT ZUSAMMEN Schmidhuber verfasste anlässlich des 60. Geburtstags von Gröschel eine Lau- datio, in der er herausstellte, dass beide „viele Jahre in vorzüglicher Weise zusammengewirkt“ hätten. Auch Gröschel bewies seine Loyalität gegenüber früheren nationalsozialisti- schen Kollegen. So initiierte und betreute er Ende der 1960er Jahre zu- sammen mit Wilhelm Katner eine vollkommen unkritische und euphe- mistische Dissertation 49 zum Leben und Werk Hermann Eulers 50 (1969). Euler hatte unter anderem 1934 als De- kan der Breslauer Medizinischen Fakul- tät „Säuberungsaktionen“ zulasten jüdischer Kollegen durchgeführt und sich „bei 15 von 20 Kollegen für die Elimination aus der Fakultät“ ausge- sprochen. 51 In besagter Dissertation wird Eulers Täterschaft jedoch mit kei- nem Wort erwähnt – im Gegenteil: Euler erscheint hier als Nachkriegsop- fer der Besatzungsbehörden. So hieß es: „Die neuen Machthaber hatten ihm nicht nur kein Institut und sein kostbarstes Eigentum, die Bibliothek, genommen, sondern sie strichen ihm auch noch jegliche finanzielle Unter- stützung [...] Krank und völlig mittel- los mußte Euler bis zum Sommer 1946 unter menschenunwürdigen Bedin- gungen leben.“ 52 \ 31 Grüttner (2004), 64; Schmidhuber (1967), 8; 32 Voß (1996), 239; 33 Grüttner (2004), 64; Schmidhuber (1967), 8; 34 Grüttner (2004), 64; Schmidhuber (1967), 8; 35 Grüttner (2004), 64; 36 Fischer (1985), 58; 37 Schmidhuber (1967), 8; 38 Nolden et al. (2015), 214; 39 Voß (1996), 239; 40 Gröschel (1935b); Gröschel (1937a); 41 Gröschel (1949); Gröschel (1969); 42 Gröschel (1932a und b); 43 Gröschel (1937b); Gröschel (1959); 44 Dtsch. Zahnarztl. Z. 12 (1957), 520; 45 Dtsch. Zahnarztl. Z. 27 (1972), 1; 46 Groß (2017); 47 Groß/Schmidt/Schwanke (2016); 48 Klee (2013), 544; 49 Wasserfuhr (1969); 50 Groß/Schmidt/ Schwanke (2016); Groß (2018a); Groß (2020d); 51 Staehle/Eckart (2005), 681; 52 Wasserfuhr (1969), 7f. TÄTER UND VERFOLGTE Die Reihe „Zahnärzte als Täter und Verfolgte im ‚Dritten Reich‘“ läuft das gesamte Kalenderjahr 2020. In der zm 12/2020 folgen Ernst Weinmann sowie Susanne und Heinz Duschner, in der zm 14/2020 Helmut Johannsen sowie Georg Michelsohn. 68 | GESELLSCHAFT
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