Zahnärztliche Mitteilungen Nr. 12

zm 110, Nr. 12, 16.6.2020, (1206) INTERVIEW MIT PROF. DR. JENS CHRISTOPH TÜRP ÜBER SCHEINKONGRESSE „Herausreden kann sich niemand mehr“ Mit der investigativen Recherche des Journalisten Peter Onneken kam die Branche der Scheinkongresse 2018 erstmals an Licht. Wissenschaftliche Literatur zum Thema ist eher rar. Prof. Dr. Jens Christoph Türp von der Klinik für Oral Health and Medicine, Universitäres Zentrum für Zahnmedizin Basel, ist Autor eines Fachartikels zum Thema und schildert im Interview, welche Trends zu beobachten sind, wie die Strafverfolgung der Anbieter aussieht und wie Wissenschaftler Scheinkongresse sicher identifizieren können. Herr Professor Türp, Sie haben das Phänomen Scheinkonferenzen für einen Fachartikel über längere Zeit verfolgt. Welche Trends konnten Sie beobachten? Prof. Dr. Jens Christoph Türp : Man muss zwei Dinge unterscheiden: Einer- seits fragwürdige Fachzeitschriften, andererseits unseriöse Konferenzen. Weniger diplomatisch werden erstere auch als Raubzeitschriften – Englisch: predatory journals – , letztere als Schein- konferenzen bezeichnet. Beide Phänomene sind zwei Seiten ein und derselben Medaille. In beiden Fällen erhalten Akademiker per E-Mail eine mehr oder weniger freundliche Einladung, einen Artikel für eine bis dato unbekannte Zeitschrift einzu- reichen beziehungsweise an einer Fachkonferenz teilzunehmen, die in Wirklichkeit nichts anderes ist als eine Scheinkonferenz. Dieses Unwesen hat in den vergangenen Jahren merkbar zugenommen. Im Zuge der Corona- Krise erhielt es einen kleinen Dämpfer, aber ich bin überzeugt, dass es sich dabei nur um einen vorübergehenden Rückgang handelt. Die Veranstalter haben bereits auf die neue Situation reagiert: Sie bieten Webinare an. Sie haben für den Artikel über einen Monat die E-Mail- Eingänge in Ihrem Universitäts- postfach dokumentiert. Was fiel Ihnen dabei auf? Ich habe die im Januar 2020 erfolgten E-Mail-Eingänge gesammelt und syste- matisch ausgewertet. Es gab 38 E-Mails, die sich auf 32 fragwürdige Konferen- zen bezogen. Davon waren lediglich acht im Bereich Zahnmedizin angesie- delt. Aber, so kann man fragen, was um alles in der Welt hat ein Zahnarzt auf einer „Internationalen Konferenz über Elektrizität, Energie, Elektrotech- nik und Umweltwissenschaften“ im chinesischen Chengdu verloren? Wie viele dubiose Kongress- anbieter sind Ihren Schätzungen zufolge derzeit am Markt? Mehr als man denkt. Ich darf dazu auf eine Webseite von Dana Roth, Bibliothekar am California Institute of Technology verweisen. Auf seiner Liste finden sich mehr als 100 Anbieter solcher Konferenzen (https://bit.ly/ Anbieter_Scheinkongresse) . Welche Teilnahmegebühren werden gefordert? Die Gebühren für die zwei- bis dreitä- gigen Konferenzen bewegen sich für Referenten in der Regel zwischen 600 und 1.000 Dollar. Je nach Paket kann es aber auch teurer werden. Welche Summen setzen die Anbieter insgesamt um? Genaue Zahlen sind nicht bekannt, aber zumindest für einige Anbieter muss es ein sehr einträgliches Geschäft sein. Was sind deren Maschen bei der Anwerbung von Referenten und Teilnehmern? Ein Teil der E-Mails weist eine neutrale Anrede auf, also „Dear Doctor“, „Dear Foto: Photo Basilisk, Basel Prof. Dr. Jens Christoph Türp, Universitäres Zentrum für Zahnmedizin Basel 36 | POLITIK

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