Zahnärztliche Mitteilungen Nr. 12
zm 110, Nr. 12, 16.6.2020, (1207) Colleague“ oder „Dear Scholar“. Der Großteil der Anschreiben ist demgegenüber personalisiert: „Dear Dr. Jens C. Türp“, zum Beispiel. Bei der Anwerbung als Referent beziehen sich die Werber in der Regel auf eine eigene PubMed- gelistete Publikation, über deren Inhalt man auf der Konferenz referieren soll. Häufig hat das Thema dieser Publikation aber wenig bis nichts mit dem Thema der Konferenz zu tun. Welchen Sinn macht es, auf dem 10. Jahres- kongress für Nanowissenschaften und -technologie im Mai 2021 in Osaka in einem Vortrag epidemio- logische und ätiologische Über- legungen über die Rolle der Ok- klusion als vermutete Ursache für kraniomandibuläre Dysfunktionen anzustellen? Klingt tatsächlich abwegig. Was treibt Wissenschaftler Ihrer Einschätzung nach dennoch zur Teilnahme an solchen Kongressen ? Allein der Platzhirsch unter den Anbietern solcher Veranstaltungen bietet zwischen dem 20. Juli und dem 5. Dezember 2020 rund 37 zahnmedizinische Kongresse an. Die Kongressorte liegen ausnahms- los in attraktiven Städten: London, Rom, Madrid. Oder darf es eine Destination in Übersee sein? Dubai vielleicht? Oder Kapstadt? Singapur? Toronto? Die treibende Kraft ist also wahrscheinlich der Duft der großen, weiten Welt. Und wie fallen die Erfahrungs- berichte von Teilnehmern solcher Scheinkonferenzen aus? Seriöse Quellen berichten durchweg von enttäuschten und verärgerten Teilnehmern. Wie lassen sich Angebote von dubiosen Kongress- anbietern beziehungsweise Scheinkonferenzen sicher identifizieren? Das Forschungszentrum Jülich bietet auf seiner Webseite eine 14-Punkte- Liste mit möglichen Hinweisen für das Vorliegen einer Schein- konferenz an (https://bit.ly/Schein kongresse_erkennen) . In meinem Beitrag in der Deutschen Zahn- ärztlichen Zeitschrift habe ich 25 weitere Indizien angeführt, darun- ter fehlende Details zum genauen Veranstaltungsort – der meist irgend- ein Hotel ist – und zum Kongress- programm. In diesem Zusammen- hang möchte ich gerne auf die internationale Webseite „Think. Check. Attend.“ hinweisen: https://thinkcheckattend.org/ check/ . Mit diesen Informationen sollte sich wirklich niemand mehr auf solche für einen Wissenschaft- ler unwürdigen Veranstaltungen verirren. Gibt es eine strafrechtlich Verfolgung der Akteure? Eine indische Verlagsgruppe wurde im April 2019 von einem US- amerikanischen Bezirksgericht in Nevada zu einer Geldstrafe von 50,1 Millionen Dollar verurteilt. Als Grund wurden unter anderem irre- führende Behauptungen über die Art der von der Gruppe angebotenen Konferenzen aufgeführt. Ferner monierte das Gericht, dass im Rahmen der Kongressbewerbung bekannte Forscher als Moderatoren genannt wurden, die davon über- haupt nichts wussten und auch nicht beabsichtigten, diese Veranstaltun- gen zu besuchen. Die Süddeutsche Zeitung titelte damals „Schlag gegen Pseudowissenschaft“. Sie betonen auch die möglichen negativen Folgen für Wissenschaftler. Wie sehen diese konkret aus? Die Teilnahme an unseriösen Kon- ferenzen wirkt sich nicht nur auf die Reputation der teilnehmenden Person negativ aus, sondern auch auf die Institution, die sie vertritt. Aber letztlich wird das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Wissen- schaft untergraben, denn das Phä- nomen der Scheinkonferenzen ist der Allgemeinheit spätestens seit Juli 2018 bekannt, als Peter Onnekens preisgekrönte Reportage „Betrug statt Spitzenforschung – Wenn Wissenschaftler schummeln“ im deutschen Fernsehen ausge- strahlt wurde (https://bit.ly/WDR_ Betrug_statt_Spitzenforschung ). Herausreden kann sich jedenfalls niemand mehr. \ Die Fragen stellte Marius Gießmann. DER FACHARTIKEL IM NETZ Prof. Jens Türps Artikel zu Scheinkongressen erschien in der Reihe EbM-Splitter der Deutschen Zahnärztlichen Zeitschrift (DZZ). Alle Beiträge dieser von Türp gemeinsam mit Prof. Dr. rer. nat. Gerd Antes eingeführten Reihe sind kostenfrei als PDF auf der Webseite der DZZ verfügbar. Der QR-Code führt direkt zum Artikel „Once around the world ...” Unsolicited congress invitations via e-mail. | 37
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