Zahnärztliche Mitteilungen Nr. 12
zm 110, Nr. 12, 16.6.2020, (1228) Ob Dräger damals schon wusste, dass er mit seinem Prinzip der Physiologie näherkam als andere? Klar ist, dass sein Pulmotor mit der Zeitsteuerung den richtigen Weg wies. Allerdings gab es noch zwei Unzulänglichkeiten. Zum einen kam es zu einer erhebliche Rückatmung des ausgeatmeten Gases und zum anderen konnte durch die rigide Uhrwerk-Steuerung die Beat- mung nicht an den Patienten ange- passt werden. Die Problemlösung über- ließ Heinrich seinem Sohn Bernhard und dem Ingenieur Hans Schröder. So war der Patient nur über einen Schlauch mit der Beatmungsmaschine verbunden, der wie eine Verlängerung der Luftröhre wirkte, da die Ein- und Ausatemluft erst innerhalb des Geräts getrennt wurde. Bernhard ersetzte die- sen Atemanschluss durch ein System aus Ein- und Ausatemschlauch und bewirkte durch eine geänderte Ventil- steuerung eine patientennahe Tren- nung von Einatem- und Ausatemluft. Die Verunreinigung der Einatemluft durch ausgeatmetes Kohlendioxid war damit erheblich verringert. Hans Schröder konstruierte zudem ein Steuerprinzip, mit dem sich abhängig vom Atemwegsdruck automatisch von Einatmung auf Ausatmung um- schalten ließ. 1908 WAREN SCHON 3.000 PULMOTORE IM EINSATZ Bereits fünf Jahre nach Beginn der Serienfertigung 1908 waren 3.000 Pulmotore im Einsatz, zehn Jahre später hatte sich ihre Anzahl fast ver- doppelt. Mit Ausnahme des Beatmungsdrucks in der Einatemphase unterschied sich die damalige Beatmung recht deutlich von der heutigen und die Kritik aus der Klinik erscheint aus heutiger Sicht nachvollziehbar. Der Streit ging haupt- sächlich um die vermeintlich gefährli- chen Folgen des Beatmungsdrucks auf Herz und Lunge – die, wie man heute weiß, wesentlich bedenklicheren Negativdrücke oder die CO 2 -Bei- mischung zur Stimulation des Atem- zentrums fanden hingegen wenig Beachtung. Das Reichsgesundheitsamt entschied 1922, dass es gegen die Anwendung von Überdruckbeatmung keine ge- sundheitlichen Bedenken gebe, veran- lasste jedoch dazu wissenschaftliche Untersuchungen. Das Thema Schädi- gung des Organismus durch Beat- mungsgeräte ist auch heute noch aktuell (siehe Kasten). VORBILD WAR AUCH HIER DER TAGEBAU Bei den Folgemodellen in den 1950er Jahren der Beatmungsdruck nicht werkseitig festgelegt, sondern konnte vom Arzt eingestellt werden. Außer- dem konnten Beatmungsfrequenz und Volumen über Regelventile angepasst und sowohl Beatmungsdruck als auch das ventilierte Volumen an Zeiger- instrumenten abgelesen werden. Zur Atemgaskonditionierung verwen- dete man Nickelsiebpakete, die man im Grubenrettungswesen schon erfolg- reich eingesetzt hatte. In den Sieben kondensierte die Feuchtigkeit der Aus- atemluft und in der Einatemphase diente dieses Kondensat dann zur Anfeuchtung des Atemgases. Der große Bedarf an Beatmungsgeräten in der Klinik entstand zum großen Teil aus der enorm gestiegenen Zahl an beatmungspflichtigen Patienten aus den Polioepidemien. Besonders kurz nach dem Zweiten Weltkrieg erhöhte AKTUELL ZU COVID-19 Der Vorläufer der Drägerwerk AG & Co. KGaA, die Firma Dräger & Gerling, wurde am 1. Januar 1889 von Johann Heinrich Dräger und Carl Adolf Gerling in Lübeck gegründet. Im selben Jahr wurde das Lubeca-Ventil, ein Druckminderer, patentiert. Es folgten1899 ein als Finimeter noch heute bezeichnetes Manometer für Atemgasflaschen, 1902 der Roth-Dräger-Narkoseapparat, 1907 ein Tauch- retter für U-Bootbesatzungen und das Notfall- beatmungsgerät Pulmotor, 1912 ein schlauch- loses Helmtauchgerät, 1926 ein Bade- Tauchretter sowie ein Sauerstoffkreislaufgerät zur Rettung verunglückter Schwimmer, 1953 ein Alkohol-Teströhrchen und das militärische Sauerstoff-Kreislaufgerät Leutnant Lund II. In Folge der COVID-19-Pandemie stieg die Nachfrage nach Beatmungsgeräten sprunghaft so stark an, dass das Unternehmen die Produktionskapazitäten im Februar und er- neut im März verdoppeln musste. Allein die deutsche Bundesregierung bestellte 10.000 Geräte, die im Laufe des Jahres ausgeliefert werden sollen. Der Pulmotor, verbaut in einer Klappkiste, im Einsatz nach einem Badeunfall (um 1913) 58 | GESELLSCHAFT
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