Zahnärztliche Mitteilungen Nr. 12
zm 110, Nr. 12, 16.6.2020, (1229) sich die Nachfrage nach Beatmungs- geräten, die Patienten über längere Zeiträume beatmen konnten. WIE EIN ZWEITER THORAX: DIE EISERNE LUNGE Zum Einsatz kamen hier große, starre Behälter, in die der beatmungspflichti- ge Patient gelegt wurde – die „Eisernen Lungen“. Die Bezeichnung „Eiserner Brustkorb“ wäre angebrachter gewe- sen, weil der starre Behälter wie ein zweiter Thorax wirkte. Ein beweglicher Zwischenboden leistete fortwährend einen Druckwechsel und damit eine Belüftung der Lunge wie ein künstli- ches Zwerchfell. Da die Therapeuten aber aufgund feh- lender exakter Messparameter auf sub- jektive Eindrücke setzen mussten, führte dies häufig zu Komplikationen und Fehlbehandlungen. Die Patienten erlitten eine Atemgasunterversorgung oder sie wurden durch eine unnötig heftige Ventilation hohem Stress aus- gesetzt. Infolge neuer Erkenntnisse, insbeson- dere aus Skandinavien, wurde die druckgesteuerten Beatmung durch In- strumente zur Messung des Volumens ergänzt, und es wurden neue Geräte entwickelt, bei denen von vornherein ein konstantes Volumen verabreicht werden konnte. Später konnte der Patient auch durch seine Spontanatembemühungen den maschinellen Beatmungshub auslösen. Der Anspruch einer gezielten Intensiv- therapie stellte neue Anforderungen an die Beatmungsgeräte. So wünschten die Anwender eine Kontrolle über das ventilierte Volumen. Außerdem sollte der zeitliche Verlauf der Beatmung durch Einstellparameter veränderbar sein und nicht nur von der Lungen- mechanik des Patienten abhängen. Gefordert war die zeitgesteuerte volu- menkonstante Beatmung. MIT MIKRORECHNERN ZU BEATMUNGSMUSTERN Die ersten Dräger-Beatmungsgeräte, die diese Ansprüche erfüllten, waren die 1955 eingeführten Spiromaten. Sie stellten den Ausgangspunkt der Ent- wicklung moderner Dräger-Intensivbe- atmungsgeräte dar. 1982 kam dann erstmalig eine völlig neue Ventiltech- nik zum Einsatz. Mit elektromagne- tisch betriebenen Ventilen konnten Atemgasfluss als auch Beatmungsdruck auch innerhalb des Atemzugs exakt und schnell gesteuert werden. Der Ein- satz von Mikrorechnern ermöglichte die Erzeugung von Beatmungsmus- tern, die mit den vorherigen Gerätege- nerationen undenkbar gewesen wären. Zusätzlich wurde mit den Geräten der neueren Generation ein grafisches Mo- nitoring in die Beatmung eingeführt. Auf einem im Gerät integrierten Bild- schirm konnten neben numerischen Daten und Textmeldungen nun auch Beatmungskurven dargestellt werden. Für mehrere Jahrzehnte war die aus- reichende Ventilation der Lunge das primäre Ziel der Beatmung. Erst in den 1970er Jahren fand eine Umorientie- rung statt und es wurden Beatmungs- verfahren etabliert, bei denen die Ver- meidung von Schädigungen der Lunge im Vordergrund stand. Den prinzipiell bedingten Nebenwirkungen und deren Bedeutung war man sich früher nicht bewusst. mg Text und Bilder stammen aus der Fest- schrift „Mit dem Pulmotor fing es an. Hundert Jahre maschinelle Beatmung“ von Ernst Bahns und wurden hier mit der freundlichen Genehmigung der Dräger- werk AG & Co. KGaA verwendet. WEM GEBÜHRT DER RUHM IN DER FAMILIE DRÄGER? Die Frage, welches Modell letztlich als das erste Beatmungsgerät der Welt gelten muss, ist schwierig zu beantworten. Das Unternehmen Dräger formuliert dazu in seiner 2007 erschie- nenen Festschrift zum Jubiläum der Patentver- gabe: „Definiert man ein Beatmungsgerät als eine Maschine, die mechanische Atemarbeit mit einem definierten Zeitmuster leistet und die Möglichkeit einer Sauerstoffbeatmung bietet, dann ist der 1907 von Heinrich Dräger paten- tierte Pulmotor wahrscheinlich das erste Beat- mungsgerät. Fügt man aber als weiteres Kriterium die Serienreife und die nachgewie- sene erfolgreiche klinische Anwendung hinzu, dann gebührt der Weiterentwicklung des Pulmotors durch Bernhard Dräger und Hans Schröder das Prädikat ,erstes Beatmungsgerät‘. Unter diesem Gesichtspunkt ist der druckgesteu- erte Pulmotor mit großer Sicherheit das welt- weit erste Beatmungsgerät in der Geschichte der Medizintechnik.“ Der Ur-Pulmotor (1907): Versuchs- modell der von Heinrich Dräger zum Patent angemeldeten ersten Version des Pulmotors Bernhard Dräger (l.) in der Versuchswerkstatt | 59
Made with FlippingBook
RkJQdWJsaXNoZXIy MjMxMzg=