Zahnärztliche Mitteilungen Nr. 12

zm 110, Nr. 12, 16.6.2020, (1236) ZM-SERIE: TÄTER UND VERFOLGTE IM „DRITTEN REICH“ Ernst Weinmann – Der „Henker von Belgrad“ Hendrik Uhlendahl, Dominik Groß, Mathias Schmidt Ernst Weinmann (1907–1947) trat vor allem durch seine Rolle als SS-Führer im von der deutschen Wehrmacht besetzten Serbien hervor. Er war mitverantwortlich und aktiv beteiligt an einer Reihe von „rassenpolitisch“ begründeten Kriegsverbrechen der deutschen Besatzer, was ihm den Beinamen „Henker von Belgrad“ einbrachte. 1 W ährend das Gros der Täter unter den Zahnärzten lange Zeit unbekannt blieb und erst im Rahmen des hier referierten Forschungsprojekts in den Blickpunkt der Fachöffentlichkeit geriet, 2 gehört Weinmann zu den Ausnahmen. Dies erklärt sich durch seine sehr spezielle Biografie und seinen dramatischen Lebenslauf. Weinmann wurde am 16. April 1907 im baden-württembergischen From- menhausen (Kreis Tübingen) als Sohn des Lehrers Gustav Weinmann und seiner Frau Albertine geboren. 3 Der Vater fiel im Ersten Weltkrieg, als Ernst Weinmann zehn Jahre alt war. Nach dessen Tod befand sich die Familie laut Weinmann in finanziellen Schwierig- keiten. Aufgrund dieser Engpässe be- suchte Weinmann zunächst die Real- schule Rottweil. Im April 1923 trat er eine Volontärstelle bei der I.G. Farben (Werk Rottweil) an, die er bis Septem- ber 1926 ausübte. Sein Abitur legte er nach eineinhalbjähriger Vorbereitung nachträglich im Frühjahr 1928 an der Oberrealschule Tübingen ab. Danach nahm er das Studium der Zahnheil- kunde an der Universität Tübingen auf 4 – letztere war zu dieser Zeit bereits stark rechtskonservativ, nationalistisch und antisemitisch geprägt. Im Frühjahr 1930 bestand er die Vor- prüfung und im Herbst 1931 das zahn- ärztliche Staatsexamen, jeweils mit der Note „sehr gut“. Im Dezember wurde er mit der Arbeit „Klinische Untersuchungen über die zahnärztliche Diathermie“ 5 ebenfalls mit der Note „sehr gut“ zum Dr. med. dent. promo- viert. Bis Januar 1932 war er Volontär an der Chirurgischen Universitätsklinik Tübingen. Bereits zwei Monate später ließ er sich als Zahnarzt in eigener Praxis in Tübingen nieder. Am 5. Mai 1934 heiratete er Wilhelmine Glatz. 6 MIT 17 JAHREN WILL ER DER NSDAP BEIGETRETEN SEIN Weinmanns Geburtsjahrgang 1907 macht ihn zum Angehörigen der soge- nannten „Kriegsjugendgeneration“, die den Ersten Weltkrieg bewusst mit- erlebte, aufgrund ihres Alters aber nicht mehr daran teilnahm. Diese verpasste „Chance auf Bewährung“, der Tod von Angehörigen im Feld, der durch die Niederlage 1918 ideo- logisch sinnlos geworden war, sowie die Probleme der frühen Weimarer Zeit führten häufig zur ideologischen Radikalisierung. 7 Ähnliches gilt auch für die in dieser Reihe bereits behan- delten SS-Zahnärzte Helmut Kunz, Hermann Pook und Walter Sonntag – sie wurden allesamt im ersten Jahr- zehnt des 20. Jahrhunderts geboren. 8 Eigenen Angaben zufolge wurde Weinmann schon in seiner Jugend – vor allem auf kommunaler Ebene – politisch aktiv. Er benennt seine Tätigkeit bei der I.G. Farben und den Einfluss zweier dort tätiger Ingenieure sowie einiger Arbeiter als ersten Berührungs- punkt mit dem Nationalsozialismus. 9 1924 sei er im Alter von 17 Jahren der Landesleitung Württemberg der NSDAP beigetreten. Außerdem schreibt er sich selbst die Beteiligung an der Neugründung der Partei nach dem Verbot 1923 sowie die Mitbegründung der Ortsgruppe Rottweil im Jahr 1925 zu, als deren Kassierer er bis 1927 fun- gierte. 10 Seit 1925 war er auch Mitglied der Sturmabteilung (SA). 11 Weinmanns offizieller NSDAP-Beitritt ist auf den 27. Juli 1927 mit der Mitgliedsnummer 70.136 datiert, 12 obwohl er später behauptete, dass seine Anmeldung bereits 1924 erfolgt sei. 13 Während seines Studiums trat Wein- mann dem Nationalsozialistischen Deutschen Studentenbund (NSDStB) bei. Nach seinem Studienabschluss folgte 1931 der Eintritt in den National- sozialistischen Deutschen Ärztebund (NSDÄB). 1932 wurde er mit Beginn seiner Praxistätigkeit als Zahnarzt zum Zellenleiter der Ortsgruppe Tübingen der NSDAP ernannt. Mit der Macht- 1 BStU, MfS-HA IX/11, ZM 1603, Akte 1, Bl. 262; 2 Zur Forschungssituation und dem sukzessiven projektbezüglichen Erkenntnisgewinn vgl. Schwanke et al., 2016; Groß et al., 2018; Groß, 2018; Groß, 2019, 157–174; Groß/Krischel, 2020, 24–27; 3 BA Berlin, R1501/212807: Lebenslauf Weinmanns, 1939; BA Berlin, SSO Weinmann: Stammblatt; 4 Wildt, 2003, 91f.; 5 Weinmann, 1931; 6 BA Berlin, R1501/212807: Lebenslauf Weinmanns, 1939; 7 Herbert, 1996, 43ff.; Wildt, 2003, 24ff.; Banach, 2002, 60f.; 8 Heit et al., 2019; Groß, 2020; Groß/Rinnen, 2020; Rinnen et al., 2020; 9 BStU, MfS-HA IX/11, ZM 1603, Akte 1, Bl. 265f.; 10 BA Berlin, R1501/212807: Lebenslauf Weinmanns, 1939; 11 BA Berlin, SSO Weinmann: Beförderungsvorschlag, 1944; 12 BA Berlin, R 9361-IX, KARTEI/47570661; 13 BA Berlin, R1501/212807: Lebenslauf Weinmanns, 1939 PROF. DR. DR. DR. DOMINIK GROß Institut für Geschichte, Theorie und Ethik der Medizin der RWTH Aachen Klinisches Ethik-Komitee des Universitätsklinikums Aachen MTI 2, Wendlingweg 2, 52074 Aachen dgross@ukaachen.de Foto: privat 66 | GESELLSCHAFT

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