Zahnärztliche Mitteilungen Nr. 12
zm 110, Nr. 12, 16.6.2020, (1237) übernahme der Nationalsozialisten wurde Weinmann Ortsgruppenleiter und stellvertretender Kreisleiter sowie Fraktionsführer der NSDAP im Gemeinderat Tübingen. 14 In dieser Funktion gehörte er dem im Wintersemester 1933/34 etablierten „Führerrat“ der Universität Tübingen an, deren fünf Mitglieder den Rektor in allen wichtigen Angelegenheiten berieten. Darüber hinaus konnte er durch seine Funktion in der NSDAP und als „Ehrenrichter“ des sogenann- ten „Ehrenrats“ der Universität in diese „hineinregieren“. 15 1935 wurde er außerdem zum 1. Beigeordneten des Oberbürgermeisters von Tübingen ernannt und fungierte damit als dessen Stellvertreter. 16 UM DIE 300 ZAHNÄRZTE WAREN IN DER WAFFEN-SS Zusammen mit seinem Bruder Erwin wurde Ernst Weinmann von dem Arzt, späteren Reichsstudentenführer und SS-General Gustav Adolf Scheel für die SS angeworben. 17 1936 wurde Ernst Weinmann Mitarbeiter des Sicherheits- dienstes (SD) der SS als Leiter der Außenstelle Tübingen, 18 obwohl er der SS erst im Juni 1938 beitrat. 19 Dies passt ins Gesamtbild seiner beruflichen und politischen Laufbahn. Darüber hinaus ist er zu den prototypischen Vertretern des SD zu zählen. Die späte- ren Angehörigen des SD zeichneten sich insbesondere durch die folgenden Charakteristika aus: Sie stammten mehrheitlich aus der sozialen Mittel- schicht, waren nach 1900 geboren und in der Weimarer Zeit Angehörige in antidemokratischen beziehungsweise rechten Verbänden und Organisatio- nen. Fast die Hälfte verfügte über aka- demische Bildung, knapp ein Drittel war promoviert und mehr als zwei Drittel waren der NSDAP bereits vor dem 30. Januar 1933 – der Ernennung Hitlers zum Reichskanzler – beige- treten. Nach der „Machtergreifung“ ge- langten viele von ihnen innerhalb der SS in Positionen, in denen sie nicht nur „Schreibtischtäter“ oder Technokraten waren, sondern im Gegenteil ihre Welt- anschauung vor Ort aktiv „in die Pra- xis“ umsetzen konnten. 20 Insgesamt schlossen sich etwa 1.500 Zahnärzte aus dem „Altreich“ der SS an, darunter 300 im Dienst der Waffen-SS.. 21 Der Höhepunkt der kommunalpoli- tischen Karriere Weinmanns folgte am 28. Juli 1939 mit seiner Ernennung zum Oberbürgermeister der Stadt Tü- bingen im Alter von nur 32 Jahren, womit er seine Tätigkeit als Zahnarzt beendete. 22 Hier zeigt sich einmal mehr die Priorität, die Weinmann seiner politischen Karriere im Vergleich zur zahnärztlichen Praxistätigkeit zukommen ließ. Lange übte er die Ge- schäfte des Oberbürgermeisters jedoch nicht aus, denn bereits im April 1941 wurde Weinmann zum Befehlshaber der Sicherheitspolizei (Sipo) und des SD in Belgrad versetzt. 23 Ihm kam dort die Position des Verbindungsoffiziers zum deutschen Militärbefehlshaber für Serbien zu, 24 in der er die Rolle eines Vermittlers und Beraters ein- nahm. Darüber hinaus war er in die „Maßnahmen“ zur Lösung der „Juden- frage“ in Serbien organisatorisch einge- bunden. 25 Zugleich wurde er 1942 „Umsiedlungskommissar“ für Serbien. 26 In diesen Funktionen war er bis 1944 mitverantwortlich für die Ermordung sowie die zwangsweise Umsiedlung, Deportation und Verschleppung Hun- derttausender Menschen. Darüber hinaus war er in die Terror-, Vernich- tungs- und Vergeltungsmaßnahmen der Wehrmacht gegen die serbische Zivilbevölkerung eingebunden. Zwar wurden die Aktionen hauptsächlich von der Wehrmacht ausgeführt, jedoch leisteten Sipo und SD bürokratische wie personelle Unterstützung, etwa bei der Registrierung von politisch unliebsamen Personen, Juden und „Zigeunern“, der Stellung von Geiseln sowie Erschießungs- und Vernich- tungsmaßnahmen (Ende Dezember 1941 gab es im deutsch besetzten Serbien keine männlichen Juden mehr). 27 Auch hat Weinmann selbst gelegentlich Kommandos vor Ort ge- führt, beispielsweise zur Ausschaltung von feindlichen Radiosendern und „Partisanen“. 28 EINGEBUNDEN IN DEN MORD HUNDERTTAUSENDER Die Beurteilung von Weinmanns Tätigkeit in Belgrad, die 1944 zu seiner Beförderung zum SS-Obersturmbann- führer (vergleichbar dem Oberstleut- nant der Wehrmacht) führte, 29 spricht eine eindeutige Sprache: „W. ist einer der besten Mitarbeiter des BdS [Befehls- haber der Sicherheitspolizei und des SD]. [...] Die ihm gestellten Aufgaben hat er unter schwierigsten Verhältnis- sen durch seine unermüdliche Einsatz- bereitschaft und seine Fähigkeiten ge- löst. Am Gelingen vieler Unternehmen [...] hat er entscheidenden Anteil.“ 30 Auch wenn die Tatbeteiligungen Wein- manns nicht mehr detailliert aufge- schlüsselt werden können, muss er bei den Verbrechen eine solch exponierte Rolle eingenommen haben, dass er von der Bevölkerung mit dem Bei- namen „Henker von Belgrad“ belegt 14 BA Berlin, R1501/212807: Lebenslauf Weinmanns, 1939; 15 Adam 1977, 51f. u. 77; 16 BA Berlin, R1501/212807: Lebenslauf Weinmanns, 1939; 17 Wildt, 2003, 178f.; 18 Lang, 1992, 210; BA Berlin, R1501/212807: Lebenslauf Weinmanns, 1939; 19 BA Berlin, R1501/212807: Lebenslauf Weinmanns, 1939; BA Berlin, SSO Weinmann: Stammblatt; 20 Wildt, 2003; Banach, 2002; Herbert, 1996; 21 Westemeier et al., 2018; 22 BA Berlin, SSO Weinmann: Wein- mann an SS-Personalkanzlei, 1939; Lang, 1992, 208; 23 BA Berlin, SSO Weinmann: Beförderungsvorschlag, 1944; 24 BStU, MfS-HA IX/11, ZM 1603, Akte 1, Bl. 247; 25 Manoschek, 1995, 107; 26 BStU, MfS-HA IX/11, ZM 1603, Akte 1, Bl. 246f.; 27 BStU, MfS-HA IX/11, ZM 1603, Akte 1, Bl. 235–240; Lang, 1992, 216; Manoschek, 1995, 107; 28 BStU, MfS-HA IX/11, ZM 1603, Akte 1, Bl. 246; Lang, 1992, 217; 29 BA Berlin, SSO Weinmann: Stammblatt; 30 BA Berlin, SSO Weinmann: Beförderungsvorschlag, 1944 Foto: Alfred Göhner, Stadtarchiv Tübingen Ernst Weinmann | 67
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