Zahnärztliche Mitteilungen Nr. 12

zm 110, Nr. 12, 16.6.2020, (1238) wurde. 31 Darüber hinaus hätte es für Weinmann eine Alternative gegeben, denn die Stadt Tübingen versuchte bereits ab 1942, ihren Bürgermeister zurückzuholen. Die Initiativen schei- terten, auch weil Weinmann selbst in seiner Position in Serbien bleiben wollte, um seine SS-Karriere zu befördern. 32 IN BELGRAD VERURTEILT UND HINGERICHTET Seine Rückkehr ins Amt des Ober- bürgermeisters von Tübingen erfolgte erst am 10. Oktober 1944. 33 Dort war er noch ein halbes Jahr tätig, bis er unter dem Vorwand, an den Kämpfen deutscher Truppen teilnehmen zu wollen, nach Bayern flüchtete. 34 Einige Monate später kehrte er allerdings zurück und stellte sich der franzö- sischen Besatzungsmacht, 35 die ihn verhaftete und an Jugoslawien aus- lieferte. In Belgrad wurde er im Dezember 1946 wegen Kriegsverbrechen zum Tode ver- urteilt und am 20. Januar 1947 hin- gerichtet. 36 \ TÄTER UND VERFOLGTE Die Reihe „Zahnärzte als Täter und Verfolgte im ‚Dritten Reich‘“ läuft das gesamte Kalenderjahr 2020. In der zm 14/2020 folgen Helmut Johannsen und Georg Michelsohn, in der zm 15-16/2020 Hermann Euler und Hermann Nelki. 31 BStU, MfS-HA IX/11, ZM 1603, Akte 1, Bl. 260ff.; 32 Lang, Ernst Weinman. BA Berlin, SSO Weinmann: Uk.-Stellung; BA Berlin, R1501/212807: Württembergischer Innenminister, 13.08.1942; BA Berlin, R1501/212807: Württembergischer Innenminister, 07.09.1942; 33 BA Koblenz, B/305/24245: Staatsministerium Baden-Württemberg, 1959; 34 Lang, 1992, S. 219f.; 35 BA Koblenz, B/305/24245: Landessozialgericht Baden-Württemberg, 1959; 36 BA Koblenz, B/305/24245: Bericht Verurteilung Weinmanns, 1960; BA Koblenz, B/305/24245: Landessozialgericht Baden-Württemberg, 1959 ZM-SERIE: TÄTER UND VERFOLGTE IM „DRITTEN REICH“ Susanne und Fritz Duschner – Dentisten in Wien, gescheiterte Flucht, deportiert und ermordet Heinz Duschner, Thorsten Halling, Matthis Krischel Die Dentisten Susanne und Fritz Duschner gehörten zu den insgesamt 200.000 jüdischen Wienern, die ab 1938 verfolgt wurden und von der Deportation bedroht waren. Die rassistische und politische Verfolgung im National- sozialismus von österreichischen Zahnärzten, besonders aber von Zahntechnikern, ist noch nicht umfassend erforscht. An dieser Stelle soll die Reihe zu verfolgten Zahnbehandlern um eine Wiener Perspektive erweitert werden. A nfang des 20. Jahrhunderts war die Sorge um die Mundgesund- heit der österreichischen Bevöl- kerung einerseits marginal, anderer- seits in den Händen einer Vielfalt von selbst ernannten Zahnkünstlern, Zahn- artisten, Zahntechnikern oder Dentisten – und nur von wenigen akademisch ausgebildeten Zahnärzten. Dies lag vor allem daran, dass seit der Mitte des 19. (und fast bis ans Ende des 20.) Jahrhun- derts die Zahnmedizin als fachärztliche Spezialisierung für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde auf einem Studium der Humanmedizin aufbaute. 1 Gleichzeitig wurde der Berufsstand der Dentisten – handwerklich ausgebildete Praktiker, die ähnliche Aufgaben wie Zahnärzte ausübten – in Österreich erst 1975 auf einen „Aussterbeetat“ gesetzt. 2 Susanne (1900–1942) und Fritz Duschner (1897–1943) wohnten mit ihren bei- den Kindern, Gertrud (1922–2005) (Abb. 2) und Josef (1927–1942) in den „Wiener Gemeindebauten“ und hatten dort auch ihr „Zahnatelier“. Nach österreichischem Recht waren beide „befugte Zahntechniker“ (mit Dentisten vergleichbar). Sie legten ihre Prüfung in den Jahren 1926 beziehungs- weise 1921 ab. Ihre Zulassungsurkunden (Abb. 1) beziehen sich auf zwei von der Nationalversammlung beschlossene Gesetze: 1) das Gesetz „betreffend die Rege- lung der Zahntechnik“ vom 13. Juli 1920. Nach dreijähriger Lehre und „mindestens sechs- jähriger Verwendung als zahn- technische Hilfskraft“ bei einem „befugten Arzt“ war damit die Befugnis zu allen zahnärztlichen Tätigkeiten verbunden, bis auf „die Vornahme von blutigen operativen Eingriffen sowie die Entfernung von Zähnen, die Vornahme der allgemeinen Narkose und der Injektions- anästhesie“ und 2) das Bundesgesetz vom 15. April 1921 (Zahntechnikergesetz), nach dem waren „befugte Zahntechniker, welche sich einer praktischen Prüfung vor einem Kammer-Gremium unterziehen [...] auch berechtigt die dem Zahnersatz hinderlichen Zähne und Wurzeln unter lokaler Anästhesie zu entfernen“. 1 Aus diesem Grund kann für die Geschichte der Verfolgung von österreichischen Zahnärzten auf die Literatur zur Verfolgung von Ärzten dort zurückgegriffen werden, vgl. etwa Czech/Weindling, 2017; 2 Groß, 2019, 39 68 | GESELLSCHAFT

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