Zahnärztliche Mitteilungen Nr. 12
zm 110, Nr. 12, 16.6.2020, (1239) Fritz war Mitglied der sozialdemo- kratischen Arbeiterpartei (SDAP) und Obmann der Kammer sozialdemo- kratischer Zahntechniker. Schon früh erkannte Fritz die Gefahren des herauf- ziehenden Nationalsozialismus und tauschte sich darüber brieflich etwa mit dem Sozialdemokraten, Abgeord- neten zum österreichischen National- rat und späteren General auf repu- blikanischer Seite im Spanischen Bürgerkrieg Julius Deutsch aus. 3 VON DEN RASSEGESETZEN SOFORT BETROFFEN Mit dem sogenannten „Anschluss“ Österreichs an das Deutsche Reich im März 1938 verschlechterte sich die Situation für Oppositionelle, Sozialdemokraten und „Nichtarier“ schlagartig. Die einmarschierenden deutschen Truppen wurden von den Österreichern nicht bekämpft, viel- mehr wurden sie von Teilen der Bevölkerung mit Jubel empfangen. 4 Ab diesem Zeitpunkt galten auch in Öster- reich die deutschen Rassegesetze, von denen die Familie Duschner sofort betroffen war. Bereits Ende Mai wurde Fritz Duschner verhaftet und als Jude und Mitglied der SDAP zunächst im Konzentrations- lager Dachau bei München und ab September im Konzentrationslager Buchenwald bei Weimar inhaftiert. Während dieser Zeit, im Juni 1938, hatte der Wiener Vizebürgermeister und SA-Brigadeführer Thomas Kozich verfügt, dass alle als „nicht-arisch“ klassifizierten Mieter die Wiener Gemeindebauten verlassen mussten. Die begehrten Wohnungen sollten „verdienten Parteigenossen“ zugute- kommen. 5 Auch Susanne Duschner und die beiden Kinder wurden aus ihrer Wohnung „delogiert“ und mussten in eine Sammelunterkunft umziehen, wo die Familie gemeinsam ein Zimmer bewohnte. Am letzten freiwillig gewählten Wohnhaus im 11. Bezirk, Lorystraße 38, erinnert seit 1999 eine Gedenktafel an die Familie Duschner. 6 Im September 1938 entzog die zuständige Sanitätsbehörde Susanne Duschner das Recht, als Zahntechnikerin zu prakti- zieren. Offenbar fand sich jedoch ein christlicher Zahnarzt, der sie noch für eine Zeit bei sich arbeiten ließ. 7 Im Februar 1939 wurde Fritz Duschner unter der Auflage aus dem Konzentra- tionslager entlassen, sich wöchentlich bei der Polizei zu melden und in absehbarer Zeit zu emigrieren. Der Familie gelang es zwar, Ausreisepapiere nach Shanghai zu beschaffen, eine Krankheit und Operation von Susanne verhinderte jedoch die Emigration. Mit dem Überfall der deutschen Wehr- macht auf Polen im September 1939 und dem Beginn des Zweiten Welt- kriegs wurden die Ausreisepläne über See obsolet. Im Oktober 1939 wurde Fritz von der Israelitischen Kultusgemeinde Wien (IKG) darüber informiert, zur „Umsiedlung“ nach Nisko im „Generalgouvernement für die besetzten polnischen Gebiete“ vorgesehen zu sein. Adolf Eichmann, damals Leiter der „Zentralstelle für jüdische Auswanderung“ in Wien, machte diese Aktion zu seinem Pro- jekt. Er versicherte dem Leiter der IKG Wien, Dr. Löwenherz, dass die Um- siedlung in „humanitärer Weise“ durchgeführt werde. Dies sei für Juden ein Weg in ein neues, freies und auto- nomes Leben ohne die Restriktionen des Nationalsozialismus. Zunächst soll- ten die Männer ein Lager aufbauen, Frauen und Kinder könnten folgen, so- bald Nisko dafür vorbereitet sei. Heute wird der Nisko-Plan als Vorstufe der „Endlösung der Judenfrage“, also des industrialisierten Massenmords, ver- standen. 8 Hieran arbeitete Eichmann 1942 im Rahmen der Wannseekonfe- renz in entscheidender Rolle mit. DEPORTATION, FLUCHT UND TOD IM GULAG Insgesamt waren Deportationen von mehr als 10.000 Wiener Juden nach Nisko geplant. Für den ersten Trans- port mit etwa 1.000 Personen am 20. Oktober 1939 wurden speziell Hand- werker, Ärzte und ehemalige Offiziere aus dem Ersten Weltkrieg ausgewählt. Sie sollten außer ihrem Werkzeug beziehungsweise den Ärztetaschen Kleidung für vier Wochen mitbringen. Dem Transportzug wurden offene und geschlossene Güterwagen mit Bau- material angehängt. Spätestens als an der polnischen Grenze Beamte der Gestapo zustiegen und den Männern Ausweispapiere und Geld abnahmen, wurde der wahre Charakter der Depor- tation deutlich. Durch Machtkämpfe innerhalb der NS-Bürokratie und Konflikte mit der Wehrmacht, die die Züge für sich 3 Verein für die Geschichte der Arbeiterbewegung,. SD Parteistellen, Karton 120; 4 Spann, 1997; 5 Exenberger/Koss/Ungar-Klein, 1996; 6 https://www.geschichtewiki.wien.gv.at/Gedenktafel_%22K%C3%BCndigungsgrund_Nichtarier%22_Lorystra%C3%9Fe_38 (25.5.2020); 7 Yad Vashem: „Pages of Testimony“ Tirzah Schutzengel (ledig Gertrud Duschner), vom 18.06.1999; 8 Goshen, 1981, 74–96 DR. MATTHIS KRISCHEL Institut für Geschichte, Theorie und Ethik der Medizin Centre for Health and Society, Medizinische Fakultät Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf Moorenstr. 5, 40225 Düsseldorf matthis.krischel@hhu.de Foto: privat Abb. 1: Zulassungsurkunde Fritz Duschners als „befugter Zahntechniker“; Quelle: Dorit Schutzengel-Heimer | 69
Made with FlippingBook
RkJQdWJsaXNoZXIy MjMxMzg=