Zahnärztliche Mitteilungen Nr. 12
zm 110, Nr. 12, 16.6.2020, (1240) beanspruchte, erreichten jedoch nur wenige Züge im Oktober 1939 Nisko. Dort angekommen wurden die Depor- tierten, bis auf wenige Ausnahmen, von der SS weggejagt und mit Er- schießen bedroht, falls sie sich nicht in kurzer Zeit zehn Kilometer entfernt hätten. Unter der Führung der mitgereisten Weltkriegsveteranen wurden Marsch- gruppen gebildet, um sich bis zur rus- sischen Grenze durchzuschlagen. Nach zehntägigem, entbehrungsreichem Marsch erreichte Fritz Duschner das russisch besetzte Lemberg (heute Lwiw, Ukraine). Im März 1940 schrieb Fritz von dort seiner Frau Susanne nach Wien mit der Bitte, für ihn einen Reisepass und andere benötigte Dokumente zu bean- tragen. Die Familie beabsichtigte zu diesem Zeitpunkt eine Emigration in die USA. Dies machte Duschner in den Augen des sowjetischen Innen- ministeriums verdächtig; wie viele Flüchtlinge zu dieser Zeit wurde er als potenzieller Spion angesehen. Er geriet erneut in eine Verfolgungsspirale. Als „Internierter“ und vermutlich auch wegen vorgeschobener Verbrechen gegen den Staat wurde er 1.600 Kilo- meter nach Nordosten ins Arbeitslager Unzhlag (bei Nischni Nowgorod) de- portiert. Er arbeitete als Dentist im Lagerhospital. Dort traf er die Röntgen- schwester Hilda Vitzthum, die in ihrem Buch die Begegnung mit ihm beschreibt: „Während meiner ersten Tage im Hos- pital erregte ein Mann mein besonde- res Interesse. [...] Als ich kurz darauf in die Zahnklinik musste, traf ich diesen Mann. [...] Fritz war untröstlich, da er niemanden hatte, mit dem er sprechen konnte, er verstand kein Wort russisch. [...] Als ich später das Lager verlassen musste, drückte mir Fritz Duschner als Abschiedsgeschenk, ein Stück Seife in die Hand, das er sich von seiner Ration abgeknausert hatte. [...] Als ich ihm ein letztes Mal zuwinkte [...] sah ich das traurige Gesicht von Fritz. Ich empfand nur zu stark, dass es für ihn schlecht enden würde. [...] Etwas später erfuhr ich, dass kurz nach meiner Abreise Fritz in ein nahes Zweig- lager verlegt wurde, wo er schwere landwirtschaftliche Arbeit verrichten musste. Duschner war für eine solche Arbeit nicht gemacht und wurde bald todkrank in unser Hospital zurück- gebracht, wo er starb.“ 9 GERTRUD DUSCHNER KONNTE NACH PALÄSTINA FLIEHEN Im November 1939 gelang es der Tochter Gertrud Duschner mit dem sogenannten „Kladovo-Transport “ aus Wien zu fliehen, bei dem es sich um einen illegalen jüdischen Flüchtlings- transport mit dem Ziel Britisches Man- datsgebiet Palästina handelte. Mit etwa 200 Jugendlichen und nach einer zwei Jahre dauernden, dramatischen Flucht, teils über die Donau, teils mit dem Zug erreichte sie das Ziel, während etwa 600 Personen des Transports von Truppen der Wehrmacht gefangen ge- nommen und in der Folge ermordet wurden. 10 Gertrud Duschner lebte in einem Kibbuz, heiratete einen unga- rischen Juden und wanderte in die USA aus. Sie studierte Psychologie, pro- movierte und arbeitete 35 Jahre als Professorin. Als sie 2005 verstarb, hatte sie drei Kinder und acht Enkel. 11 1999 übergab sie der israelischen Holocaust- Gedenkstätte Yad Vashem ihre Zeit- zeugenaussagen. Nach der Deportation von Fritz und der Flucht von Gertud mussten Susanne Duschner und ihr Sohn Josef in eine andere Sammelunterkunft nahe dem etwas abgelegenen Wiener Vorort- Bahnhof Aspang umziehen, von wo Wiener Juden bei Nacht deportiert wurden. Ab November 1941 fanden zehn Transporte mit jeweils 1.000 Juden in das Vernichtungslager Maly Trostinez (bei Minsk) statt. Susanne und Josef waren auf dem letzten der Transporte, Nr. 44, Zugnummer 230, der laut Fahrplan am 5. Oktober 1942 um 22.22 Uhr abging. Die ersten bei- den Tage waren sie in Personenwagen dritter Klasse eingepfercht, mit dem Überschreiten der Grenze nach Polen wurden ihnen die letzten Habselig- keiten geraubt und sie wurden in Vieh- waggons „umwagoniert“. ABTRANSPORT UND ERMORDUNG Von nun an gab es bis zur Ankunft in Maly Trostinez am 9. Oktober weder Verpflegung noch Wasser. Alte und kranke Deportierte starben so bereits während des Transports. Der Zug fuhr auf einer von deutschen Eisenbahn- Pionieren errichteten letzten Teilstre- cke in den Wald von Blagovscina, wo Susanne Duschner und ihr 15-jähriger Sohn am Rand einer Grube erschossen wurden. Andere Deportierte wurden in Gaswagen ermordet. 12 Maly Trostinec muss als „Blaupause“ für die spätere Massenvernichtung jüdischen Lebens in den Vernichtungs- lagern gelten. Es wurden Tötungs- techniken erprobt und die Ermordeten systematisch ausgeplündert; Adolf Eichmann war teils persönlich an- wesend. Im Juni 2018 besuchten die Bundes- präsidenten Österreichs und Deutsch- lands, Alexander van der Bellen und Walter Steinmeier, Maly Trostinec, wo seit 2015 eine neue Gedenkstätte ent- standen ist. Der Ort ist insbesondere in der österreichischen Erinnerungskultur verankert, weil dort mehr als 10.000 deportierte Wiener Jüdinnen und Juden ermordet wurden, mehr als in jedem anderen Vernichtungslager. Zivilgesellschaftliche Erinnerungsarbeit geht auch von dem Verein IM-MER (Initiative Malvine – Maly Trostinec erinnern) aus. 13 \ 9 Vitzthum, 1984; 10 Anderl/Manoschek, 1993; 11 O.A. (2005) Nachruf Tirzah Schutzengel (https://www.legacy.com/obituaries/northjersey/obituary. aspx?n=tirzah-schutzengel&pid=15909131 , 25.5.2020); 12 Rentrop, 2011; 13 http://www.im-mer.at/ (28.5.2020) Abb. 2: Fritz, Gertrud und Susanne Duschner (circa 1926); Quelle: Dorit Schutzengel-Heimer 70 | GESELLSCHAFT
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