Zahnärztliche Mitteilungen Nr. 13

zm 110, Nr. 13, 1.7.2020, (1322) fehlender Zähne in der Kontrollgruppe. Bezogen auf die gesamte Geburtskohorte ging am häufigsten der Milch- molar 54 verloren – und zwar bei fast jedem zweiten Kind (45 Prozent). Die kieferorthopädische Auswertung ergab in Fällen von vorzeitigem Milchzahnverlust ein allgemein signifikant geringeres Platzangebot bei den Zahnbögen der Kinder aus der Kontrollgruppe. Im Oberkiefer (4,2 ± 4,5 mm) war der Platzverlust in der Kontrollgruppe signifikant höher als im Unterkiefer (2,3 ± 4,2 mm). Der Platzverlust in der Präventions- gruppe war dagegen im Unterkiefer erhöht (0,5± 1,5 mm gegen 0,2±3,3 mm), allerdings gegenüber dem Oberkiefer nicht signifikant. Die Kinder aus Familien mit geringem sozialökonomischen Status hatten einen signifikant höheren Platzverlust (5,4 ± 4,2 mm) im Vergleich zu Kindern mit einem mittleren oder hohen Status (1,0 ± 3,2 mm). Bei 31,4 Prozent aller Kinder mit vorzeitigem Milchzahnverlust war ein kieferorthopädischer Behandlungsbedarf aufgrund der mesialen Drift der Seitenzähne und des daraus resultierenden Platzverlusts vorhanden. DISKUSSION Die Ergebnisse der vorliegenden und früheren Analysen zeigten eine erhöhte Prävalenz von vorzeitigem Zahnverlust mit zunehmendem Alter der Kinder sowohl in der Kontroll- als auch in der Präventionsgruppe. Die Anzahl der frühzeitig verloren gegangenen Zähne war bei der Kontrollgruppe allerdings um ein Vielfaches höher als bei der Präventions- gruppe, wie die Studienerstautorin schon in ihrer Publikation aus dem Jahr 2017 zeigen konnte [Wagner und Heinrich- Weltzien 2017]. Die Teilnahme am zahnärztlichen Präven- tionsprogramm führte zu einer deutlich geringeren Prä- valenz von vorzeitigem Zahnverlust (7,9 Prozent) in der Präventionsgruppe und zu einer Verzögerung des Zahn- verlusts von zwei bis drei Jahren im Vergleich zur Kontroll- gruppe. Das Präventionsprogramm brachte den zusätzlichen Vorteil, dass die Zahnärzte bei einem vorzeitigen Zahnverlust die Lücke und die Zahnentwicklung überwachen und bei Bedarf einen Platzhalter einsetzen konnten. Die Zahn- wanderung kann innerhalb von drei Wochen nach der Zahnextraktion beginnen und mehrere Monate andauern. Mehrere Studien zeigten bereits die Bedeutung von Platz- haltern [Bindayel, 2019; Alnahwi, 2015]. Die vorliegende Untersuchung zeigt, dass es zu Platzverlust gekommen war, wenn die Situation lediglich den Eltern überlassen und nicht von Zahnärzten überwacht wurde. Karies tritt besonders häufig in sozioökonomisch benach- teiligten Gruppen auf [Schwendicke et al., 2015]. In dieser Studie ist der sozioökonomische Status ebenfalls eine Einflussvariable auf die Kariesentwicklung und den daraus resultierenden vorzeitigen Zahnverlust. Das Präventions- programm hat sich positiv auf die Zahngesundheit von 8-Jährigen mit einem niedrigen sozioökonomischen Status ausgewirkt, obwohl diese Untergruppen sehr klein sind und kaum generelle Aussagen aufgrunddessen getroffen werden können. Doch in der Tendenz hat das Präventionsprogramm die vom sozioökonomischen Status abhängigen Unterschiede in Bezug auf Karieserfahrung, vorzeitigen Zahnverlust und Zahnbogenlängendifferenzen ausgleichen können. FAZIT Kinder, die zeitnah nach der Geburt in ein regelmäßiges Präventionskonzept mit kontinuierlicher Zahnpflege ein- gebunden sind, hatten in dieser Untersuchung – wie auch in den Vorläuferstudien – eine bessere Mundgesundheit mit weniger vorzeitigem Verlust der Milchzähne. Das führte zu einem geringeren Bedarf an kieferorthopädischer Früh- behandlung im Alter von acht Jahren. Quelle: Yvonne Wagner, I. Knaup, T. J. Knaup, C. Jacobs & M. Wolf: „Influence of a programme for prevention of early childhood caries on early orthodontic treatment needs“, Clinical Oral Investigations (2020); doi: 10.1007 / s00784–020–03295–4. 0 2 4 6 8 10 Plaztmangel [mm] * * * M/H SoS (PG) Niedriger SoS (PG) M/H SoS (KG) Niedriger SoS (KG) Abb. 2: Ausmaß des Platzmangels in der Präventionsgruppe (PG) und Kontrollgruppe (KG) einer Geburtenkohorte von 8- und 9-jährigen Patienten mit vorzeitigem Milchzahnverlust (n = 51) unter Berück- sichtigung des sozioökonomische Status (SoS). Kinder der Kontroll- gruppe mit einem niedrigen SoS wiesen einen signifikant höheren Platzverlust auf (6,4 ± 3,7 mm) als Kinder der Präventionsgruppe (0,2 ± 2,5 mm) sowie Kinder mit mittlerem beziehungsweise hohem (M/H) sozioökonomischen Status (PG: 0,5 ± 1,3 mm; CG: 1,1 ± 3,4 mm). Statistisch signifikante Unterschiede sind mit *p ≤ 0.05 markiert; MW ± SEM. Grafik: Isabel Knaup Ausmaß des Platzmangels ZM-LESERSERVICE Die Literaturliste kann auf www.zm-online.de abgerufen oder in der Redaktion angefordert werden. 56 | ZAHNMEDIZIN

RkJQdWJsaXNoZXIy MjMxMzg=