Zahnärztliche Mitteilungen Nr. 14

DISKUSSION Bereits frühere Studien konnten mit einer dichten Substanz gefüllte Dentin- tubuli nahe der Grenzfläche zu einer Kariesläsion zeigen. Zu sehen waren Kristalle im vertikalen Querschnitt durch die Tubuli [Sarnat und Massler, 1965; Daculsi et al., 1979]. In der vorliegenden Studie deuteten die Forscher die dichte weiße Substanz als Präzipitate, die sich in den Tubuli ablagern, selbst wenn das umliegende Dentin von der Karies zerstört wurde. Bakterien drangen über- raschenderweise nicht in die Dentin- tubuli ein, obwohl sie in der Dentin- karies reichlich vorhanden waren. Vermutlich hinderte der hochdichte Niederschlag in den Tubuli sie daran. Diese Beobachtung stimmt mit der von Daculsi et al. von 1978 überein. Yoshiba et al. berichteten von einer nur noch langsam fortschreitenden Karies [Yoshiba et al., 2002] – das ver- ringerte Tempo der Kariesprogression geht möglicherweise auf die „verstopf- ten“ Dentintubuli zurück, die durch Kariesbakterien nicht infiltriert werden können. Das menschliche Zahngewebe scheint so zu versuchen, sich gegen die bakterielle Invasion abzuschotten. Die japanischen Forscher konnten die Remineralisationsprozesse nicht in ihrer Dynamik beobachten, da das Geschehen aufgrund der Extraktion der Zähne und der anschließenden Einbettung in Epoxidharz zur Proben- herstellung quasi eingefroren wurde. Dennoch diskutieren sie zwei Thesen, wie es zu der intratubulären Kristall- bildung kommen könnte: \ Die Odontoblasten produzieren die Kristalle beziehungsweise die Bak- terien-Odontoblasten-Interaktion aktiviert die physikochemischen Prozesse, die zur Kristallbildung führen [Daculsi et al.,1978]. Auch Frank und Voegel haben eine sol- che Remineralisation um Odonto- blastenfortsätze gezeigt [Frank und Voegel, 1980]. Doch die japanischen Forscher konnten jetzt keine Odontoblastenfortsätze in der Nähe der Präzipitate ausmachen. Diese Erklärung dürfte damit ausscheiden. \ Die zweite These besagt, dass Apatit im peritubulären Dentin als Kristal- lisationskeim für Kalziumphosphat- kristalle dienen könnte, die in die Dentintubuli wachsen. Die Kristal- lisation schreitet aufgrund der in die Dentintubuli einfließenden Kalzium- und Phosphationen voran. Das in dieser Studie gefundene Verhältnis von Kalzium zu Phosphat spricht für die Ausbildung von Hydroxylapatit. Von den in den mineralisierten Dentintubuli detektierten Magnesiumionen ist be- reits bekannt, dass sie das Wachstum von Hydroxylapatitkristallen konzentra- tionsabhängig hemmen können [Ding et al., 2014; Abbona und Franchini-Angela, 1990]. In einer Lösung mit geringen Mengen Magnesiumionen im Verhältnis zu Kalziumionen (Mg zu Ca unter 0,4) bilden sich Hydroxylapatitkristalle. Bei einem Verhältnis zwischen 0,4 und 4,0 bildet sich stabiles amorphes Kalzium- phosphat oder Whitlockit (Mg-ß-TCP – Trikalziumphosphat) [Abbona und Franchini-Angela, 1990]. Ein Phänomen, das sich auch bei pathologischen Verkal- kungen etwa an Herzklappen zeigt [Epple, 2003]. Whitlockit fanden die Forscher jetzt allerdings nicht. Im Transmissions- elektronenmikroskop zeigte sich, dass Hydroxylapatitkristalle in den Dentin- tubuli weniger als 100 Nanometer groß waren. Magnesium aus dem Speichel und solches, das aus Zahngewebe freige- setzt wird, könnte das Kristallwachstum von Hydroxylapatit gehemmt und stattdessen zur Bildung von amorphem Kalziumphosphat geführt haben. FAZIT Bei einer Karies remineralisieren die Dentintubuli aufgrund der Ausfällung von Hydroxylapatitkristallen und der Bildung von amorphem Kalziumphos- phat. Diese intratubulären Mineral- ablagerungen sind so dicht, dass sie als Barriere für das weitere Vordringen von Bakterien wirken. Das Fortschreiten der Karies verlangsamt sich stark beziehungs- weise könnte sogar stagnieren. Das Ver- ständnis der natürlichen Remineralisa- tionsprozesse im kariösen Dentin kann helfen, bioaktive Materialien zu ent- wickeln, die solche Remineralisations- prozesse befördern. Quelle: Kumiko Yoshihara, Noriyuki Nagaoka, Akiko Nakamura, Toru Hara, Satoshi Hayakawa, Yasuhiro Yoshida and Bart Van Meerbeek: „Three-dimensional observation and analysis of reminera- lization in dentinal caries lesions“. Scientific Reports (2020) 10: 4387, https://doi.org/10.1038/s41598 – 020–61111–1 ZM-LESERSERVICE Die Literaturliste kann auf www.zm-online.de abgerufen oder in der Redaktion angefordert werden. Abb. 2: Die REM-Aufnahmen der zweiten menschli- chen Zahnprobe mit remineralisiertem Bereich in der Nähe einer Kariesläsion zeigen eine ähnliche Struktur. Ba: Unten links im Bild ist eine tiefe Kariesregion zu erkennen. Bb: Ausschnitt aus Foto Ba in hoher Vergrößerung. An der Grenzfläche der Kariesläsion mit dem Dentin zeigt sich kollabiertes Kollagen, dazu die mit einer weißen Substanz gefüllten Dentintubuli. Bc: Auf der REM-Bildgebung mit hoher Vergrößerung ist eine beträchtliche Anzahl von Bakterien an der Ka- riesläsion erkennbar. Quelle: Kumiko Yoshihara; Nature/Scientific Reports/ (2020) 10:4387 | 23

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