Zahnärztliche Mitteilungen Nr. 14

zm 110, Nr. 14, 16.7.2020, (1392) Blick behalten, wird eine große ge- meinsame Herausforderung. Daseins- vorsorge gilt es neu zu definieren. Gleichzeitig müssen wir aber auch analysieren, warum der zahnärztliche Berufsstand trotz seines professionellen und verantwortungsbewussten Um- gangs mit der Krise, in der politischen Wahrnehmung, aber auch bei den Un- terstützungsmaßnahmen keine Rolle spielte. Die Enttäuschung der Zahn- ärzte ist allgegenwärtig und Ursachen- forschung zwingend notwendig. Nicht zuletzt gilt es die Folgen für die Gesundheit/Mundgesundheit der Be- völkerung und das Gesundheitssystem infolge des Verzichts auf Behandlungs- maßnahmen zu analysieren. Politische Entscheidungen dürfen nicht die me- dizinische Notwendigkeit von Behand- lungsmaßnahmen in Zweifel ziehen oder sogar ersetzen. Welche Rolle spielen für Sie die Aussagen der Wissenschaft? KZBV: Wissenschaftlicher Diskurs und auch unterschiedliche wissenschaftliche Standpunkte – das hat die Corona-Krise gezeigt – müssen Grundlage politischer Entscheidungsfindungen sein und füh- ren in der Regel zu besseren Ergebnis- sen für den Schutz und die Versorgung der Menschen. BZÄK: Die Wissenschaft hat in den vergangenen Monaten einen extrem aufwendigen Job gemacht. Trotzdem ist es an uns, auszuhalten, mit Unsicher- heiten und Kurskorrekturen zu leben. Auch Erfahrungswissen aus dem klinischen Alltag besitzt eine hohe Bedeutung. Gleichzeitig können wir im Gesundheitswesen, aber auch auf eine breite wissenschaftliche Evidenz bauen, die zum Beispiel uns als Zahn- ärzten im Umgang mit der Pandemie und unseren Patienten Sicherheit ge- geben hat. In unserem Fall sind es die Erfahrungen, die wir mit unseren aus- gezeichneten Hygienestandards ge- macht haben. Aus der Gesamtschau heraus bleibt es auch weiterhin unsere Aufgabe, wissenschaftliche Erkennt- nisse immer wieder neu zu bewerten, Erfahrungswissen einzubeziehen und Empfehlungen auszusprechen, die umsetzbar und der Gesamtsituation angemessen sind. Was hat gut funktioniert und was nicht? KZBV : Mit dem versagten Schutzschirm für Zahnarztpraxen haben Zahnärzte und ihre Mitarbeiterinnen und Mit- arbeiter – im Vergleich zu Ärzten, Heil- mittelversorgern und anderen Berufs- gruppen – eine nicht nachvollziehbare Ungleichbehandlung und Herabwürdi- gung erfahren. Mehr noch: Unsere hervorragend funktionierenden Versor- gungsstrukturen werden durch diese Regelung achtlos aufs Spiel gesetzt. Diese sind aber unabdingbar, um auch nach der Pandemie die hoch- qualifizierte flächendeckende zahn- medizinische Versorgung in Deutsch- land weiterhin zu gewährleisten. Die Bedeutung der zahnmedizinischen Versorgung als Teil der Daseinsvorsorge in Deutschland wurde auf diese Weise bagatellisiert und in erheblicher Weise diskreditiert. Diese Diskriminierung des Berufsstands muss deutlich zur Sprache gebracht werden. Bei aller berechtigten Enttäuschung bleibt die KZBV bei diesem Thema mit der Politik aber in einem konstruktiven Dialog, insbesondere mit Blick auf die Evaluierung der Situation in den Praxen im Herbst. Es gilt jetzt, den Blick nach vorne auf professionelle Sacharbeit in den kommenden Wochen und Monaten zu richten – auch bei der geplanten Aufarbeitung der Corona- Krise. Zahnärztinnen, Zahnärzte und ihre Praxisteams haben vom ersten Tag der Epidemie an die Versorgung der Menschen unter oft schwierigen Be- dingungen aufrechterhalten. Praktisch „aus dem Stand“ hat der Berufsstand ein bundesweit flächendeckendes Netz von Behandlungszentren in 30 Kliniken und 170 Schwerpunktpraxen für die Akut- und Notfallversorgung von Patienten aufgebaut, die mit dem SARS-CoV-2-Virus infiziert sind oder als Verdachtsfall unter Quarantäne ge- stellt wurden. Die Zahnärzteschaft und ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter haben die Herausforderungen der Krise bis zum heutigen Tag hoch profes- sionell, verantwortungsbewusst und erfolgreich gemeistert. Wichtig ist jedoch, dass der Berufs- stand auch in Krisenzeiten mit einer Stimme spricht. Ebenso gab es unter- schiedliche Vorstellungen einzelner Landesregierungen hinsichtlich zahn- ärztlicher Behandlungen, etwa in Baden-Württemberg. Die betreffenden KZVen haben durch ihre Anstren- gungen aber glücklicherweise die teils abstrusen Entscheidungen der Landes- regierungen korrigieren können. BZÄK : Zentrale Bedeutung auch für uns Zahnärzte besitzt die Informations- politik des RKI. Mit den Bundes- und Landesregierungen und Behörden gab es generell einen zügigen und um- fassenden Austausch, so dass eine schnelle und umfassende Information an die Zahnärzteschaft erfolgen konnte. Leider waren aber auch Alleingänge der Landesregierungen mit unmittel- baren Auswirkungen für die Zahnärzte zu verzeichnen, die durch einen recht- zeitigen Austausch und Nutzung der Expertise hätten verhindert werden können. Die Kritikpunkte sind nicht neu: \ Die Versorgung mit persönlicher Schutzausrüstung und Desinfektions- mitteln in der ambulanten Versor- gung war nicht mehr gesichert, weil die Märkte in Asien und die Lieferketten schnell zusammen- gebrochen sind. SPAHNS INITIATIVE Bundesgesundheitsminister Jens Spahn hat sich Ende Juni in den Medien für eine umfassende Aufarbeitung der Corona-Politik durch den Bundestag ausgesprochen. In einem Interview sagte er: „Es ist Sache des Bundestags zu entscheiden, wie er die Zeit der Pandemie aufarbeiten will. Ich hielte es für eine gute Idee, wenn der Gesundheitsausschuss zusammen mit ausgewiesenen Experten eine große Evaluation erarbeitet, aus der wir für die nächste vergleichbare Situation lernen können. Und ich möchte die so gewonnenen Erkenntnisse dann nicht nur aufschreiben, sondern zügig umsetzen.“ 30 | POLITIK

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