Zahnärztliche Mitteilungen Nr. 14
überführt werden konnte. Der tägliche Verbandswechsel sowie eine mindes- tens wöchentliche ärztliche Kontrolle in der Betreuungseinrichtung wurden angeregt und organisiert. Die Angehö- rigen und die Patientin wünschten keine weitere Therapie. Eine erneute, geplante Vorstellung zur Verlaufs- kontrolle in unserer Ambulanz wurde nicht wahrgenommen. DISKUSSION Der Begriff Myiasis beschreibt die Be- siedlung lebender Organismen und Vertebraten mit Fliegenlarven, die sich von nekrotischem oder vitalem Gewebe des Wirts ernähren [Bernhardt et al., 2019]. Bisher wurden rund 80 Dipte- ren-Spezies ermittelt, die auch den Menschen befallen. Ungefähr die Hälfte dieser Spezies zählt zu den Schmeiß- und Goldfliegen (Calliphoridae) sowie zu den Fleischfliegen (Sarcophagidae), die restlichen zu den Stuben-, Stech- und Latrinenfliegen (Muscidae), Magenfliegen (Gasterophilidae) und Dasselfliegen (Oestridae) [Beck et Pantchev, 2010]. Nach Lokalisation und Klinik können fünf verschiedene Formen der Myiasis unterschieden werden: Haut-, Kavitar-, Intestinal-, Urogenital- und Wund- myiasis. Darüber hinaus kann zwischen obligatorisch in der Haut des Menschen parasitierenden Fliegenlarven (zum Beispiel Cordylobia anthropophaga, Dermatobia hominis) und den Er- regern der Haut- und Wundmyiasis unterschieden werden, letztere Form wird auch als „fakultative Myiasis“ be- zeichnet [Beck et Pantchev, 2010]. Die ICD-10-Klassifikation der WHO fasst die Myiasis unter dem Code B87 zu- sammen, insgesamt werden sieben ver- schiedene Unterformen voneinander abgegrenzt: Dermatomyiasis, Wund- myiasis, Ophthalmomyiasis, nasopha- ryngeale Myiasis, Otomyiasis, „sonstige Lokalisationen“ und „nicht näher bezeichnet“ [DIMDI. ICD-10-WHO Version, 2019]. Bei der Myiasis handelt es sich um eine bisher in Deutschland seltene Er- krankung, die vorwiegend Patienten höheren Alters betrifft. Laut Bernhardt et al. wurden in Deutschland vom statistischen Bundesamt von 2000 bis 2016 insgesamt 230 Fälle erfasst, was ungefähr 13 Fällen pro Jahr entspricht. Zwischen 2003 und 2011 wurden elf Fälle in Pflege- und Rehabilitationsein- richtungen dokumentiert [Bernhardt et al., 2019]. Die Myiasis wird hierzulande meist aus subtropischen Regionen importiert, autochthone Myiasen treten eher selten auf, häufig handelt es sich – wie im vorliegenden Fall – um die sogenannte Wundmyiasis: Fliegen- weibchen werden durch den Geruch unversorgter und putrider Wunden angelockt, legen ihre Eier in die nekro- tischen Hautläsionen, in denen die Larven heranwachsen. Die auch im vorliegenden Fall ursächliche Spezies Lucilia sericata zählt mit zu den häu- figsten Verursachern der Erkrankung. Die Erstlarven schlüpfen temperatur- abhängig nach acht Stunden bis drei Tagen im Anschluss an die Eiablage, dringen in die Haut ein und ernähren sich von totem und lebendigem Gewebe sowie den Körperflüssigkeiten des Wirts [Beck et Pantchev, 2010]. Der parasitäre Madenbefall zählt zu den unerfreulichsten Komplikationen bei Tumorpatienten [Sesterhenn et al., 2009]. Die Risikofaktoren sind Abb. 3: ehemalige Tumorregion okzipital mittig mit ungepflegtem Spalthauttransplantat aus dem Jahr 2016 Foto: Johanna Wrede DR. EVGENY BARSUKOV Oberarzt Asklepios Klinik Nord-Heidberg, Klinik für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie Tangstedter Landstr. 400, 22417 Hamburg Foto: privat PD DR. JENS AMENDT Universitätsklinikum Frankfurt am Main, Institut für Rechtsmedizin, Forensische Entomologie Kennedyallee 104, 60596 Frankfurt/Main Foto: privat PROF. DR. DR. THOMAS KREUSCH Chefarzt Asklepios Klinik Nord-Heidberg, Klinik für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie Tangstedter Landstr. 400, 22417 Hamburg Foto: privat 58 | ZAHNMEDIZIN
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