Zahnärztliche Mitteilungen Nr. 14

ZM-SERIE: TÄTER UND VERFOLGTE IM „DRITTEN REICH“ Helmut Johannsen – SS-Obersturmbannführer und Zahnarzt im KZ Buchenwald Lucienne E. Arndt, Dominik Groß, Mathias Schmidt Helmut Johannsen gehört heute zu den weitgehend unbekannten SS-Zahnärzten. Dies muss insofern überraschen, als er eines der höchsten zahnärztlichen Ämter innerhalb der SS innehatte. In diesem Beitrag sollen Johannsens Biografie rekonstruiert und seine Rolle innerhalb der Organisation aufgezeigt werden. Dazu werden unter anderem Akten aus dem Bundesarchiv in Berlin herangezogen sowie der Zeitzeugenbericht des D. J., eines Verwandten von Helmut Johannsen, ausgewertet. H elmut Waldemar Johannsen wurde am 28. Januar 1908 in Neumünster als jüngster Sohn des Instrumentenmachers und Klavier- händlers Heinrich Asmus Johannsen (1857–1938) und dessen Ehefrau Emma Wilhelmine Johannsen (1877–1934), geb. Fock, geboren. 1 Er gehörte damit zur „Kriegsjugendgeneration“ – das heißt zur Gruppe der Personen, die den Ersten Weltkrieg als Jugendliche erlebten, ohne am Kampfgeschehen beteiligt zu sein. In vielen Fällen führ- ten die Unzufriedenheit mit der Kriegs- niederlage und der nachfolgenden Weimarer Republik zu einer Radikali- sierung, sodass gerade aus dieser Gene- ration viele spätere NS-Täter stamm- ten. 2 Diese biografische Besonderheit teilt Johannsen auffälligerweise mit vielen, die in dieser Reihe bereits vor- gestellt wurden – etwa mit den prak- tischen Zahnärzten Hermann Pook 3 (geb. 1901), Walter Sonntag 4 (geb. 1907), Helmut Kunz 5 (geb. 1910), Ernst Weinmann 6 (geb. 1907), aber auch mit den späteren Hochschullehrern Reinhold Ritter 7 (geb. 1903) und Wil- helm Gröschel 8 (geb. 1907). 9 Johannsen hatte zwei Geschwister, Anna Margarete (1900–1971) und Walther Ehrenfried (1906–1971). Ab Ostern 1914 besuchte er die Vorschule des Gymnasiums in Neumünster. 10 Dort bestand er im Februar 1926 die Reifeprüfung. Johannsen war offenbar ein guter Schüler, der sich besonders für die englische Sprache, aber auch für Alt-Griechisch und Latein interes- sierte. Vor diesem Hintergrund über- rascht es nicht, dass er ursprünglich Lehrer werden wollte. 11 Nach dem Schulabschluss schrieb er sich jedoch zunächst für das Jurastudium ein, das er nach kurzer Zeit abbrach. 12 Wahrscheinlich konnte die Finanzie- rung des Studiums von den Eltern nicht (mehr) getragen werden. 13 Jeden- falls nahm Johannsen zunächst eine kaufmännische Tätigkeit auf, vielleicht im Geschäft seines Vaters in Hamburg, bevor er sich schließlich im Winter- semester 1932/33 an der Universität Kiel für Zahnheilkunde einschrieb. Dort bestand er im Februar 1934 die zahnärztliche Vorprüfung. 14 An- schließend studierte er ein Semester an der Eberhard-Karls-Universität in Tübingen. Hier pflegte er intensive Freundschaften zu den Mitgliedern der schlagenden Studentenverbindung „Ghibellinia“, die er bis zu seinem Tod aufrechthielt. 15 Zum Wintersemester 1934/35 wurde er dann an der Univer- sität Hamburg immatrikuliert, wo er im Dezember 1936 das zahnärztliche Staatsexamen ablegte und kurz darauf die Approbation erhielt. 16 EIN „POLITISCHER SOLDAT“ SEIT ENDE 1931 Bereits am 1. Dezember 1931 – noch vor Studienbeginn – war Johannsen der NSDAP (Nr. 756.620) beigetreten, wobei er sich von Anfang an partei- politisch engagierte. 17 Dass er sich zu einem Zeitpunkt der Partei anschloss, als Hitlers Machtübernahme noch gar nicht absehbar war, lässt vermuten, dass er von der nationalsozialistischen Ideologie überzeugt war. 18 Am 15. Feb- ruar 1933 trat er zudem in die SS ein (Nr. 69.470). 19 Im September 1934 wurde Johannsen Unterführer in der SS-Ver- fügungstruppe, der paramilitärischen 1 BA Berlin, Lebenslauf vom 16.11.1936; 2 Wildt, 2003; Herbert, 1996; 3 Groß, 2020a; 4 Groß/Rinnen, 2020; 5 Groß/Heit/Schmidt, 2020; Heit et al., 2019; 6 Uhlendahl/Groß/Schmidt, 2020; 7 Groß/Schmidt, 2020; 8 Groß, 2020b; 9 Insgesamt spielte die „Kriegsjugendgeneration“ unter den zahnärztlichen Hochschullehrern altersbedingt nur eine untergeordnete Rolle: Bitterich/Groß, 2020; 10 BA Berlin, Lebenslauf vom 16.11.1936; persönliche Mitteilung D.J.; 11 Persönliche Mitteilung D.J.; 12 BA Berlin, Lebenslauf vom 16.11.1936; 13 Persönliche Mitteilung D.J.; 14 BA Berlin, Lebenslauf vom 16.11.1936; persönliche Mitteilung D.J.; 15 Persönliche Mitteilung D.J.; 16 BA Berlin, Beförderungsvorschlag vom 14. März 1937; BA Berlin, Lebenslauf vom 16.11.1936; persönliche Mit- teilung D.J.; BA Berlin, Aktennotiz vom 17.07.1944; 17 BA Berlin, Lebenslauf vom 16.11.1936; BA Berlin, SS-Stammblatt; 18 Zur Frage der Parteimitgliedschaft vgl. auch Schwanke/Krischel/Gross, 2016; Groß, 2018; Groß, 2019, Kap. 13; Groß/Krischel, 2020. Zum Verhältnis der Zahnärzteschaft zum „Dritten Reich“ PROF. DR. DR. DR. DOMINIK GROß Institut für Geschichte, Theorie und Ethik der Medizin der RWTH Aachen Klinisches Ethik-Komitee des Universitätsklinikums Aachen MTI 2, Wendlingweg 2, 52074 Aachen dgross@ukaachen.de Foto: privat 68 | GESELLSCHAFT

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