Zahnärztliche Mitteilungen Nr. 14

Einheit der SS. 20 Dies lässt eindeutige Schlüsse auf seine politische Gesinnung zu – denn dieser Schritt bedeutete ein aktives Eintreten für die NS-Ideologie als „politischer Soldat“. Im Übrigen spricht manches dafür, dass die NSDAP beziehungsweise eine NS-Organisation Johannsens Studium zumindest teil- weise finanziert hat. 21 Nach dem Studium trat er seinem Berufs- stand entsprechend als Untersturm- führer (dem niedrigsten SS-Offiziers- rang) in den aktiven Dienst der SS ein. Er versah seinen Dienst ab dem 15. März 1937 in der zahnärztlichen Station der SS-Verfügungstruppe in München. 22 Am 30. April 1937 heiratete er Johanna Catherine Lycke (geb. 1909) aus Nord- schleswig (seit 1920 Dänemark). 23 Aus der Ehe gingen drei Kinder hervor. An der Universität in München belegte er im Sommersemester 1937 noch einzelne Vorlesungen; zudem nahm er die Ar- beit an seiner Dissertation auf. 24 Vom 15. März 1937 bis zum 31. März 1938 war er als Zahnarzt in der Sanitätsstaffel München-Dachau eingesetzt. 25 PROMOVIERT WÄHREND DER ZEIT IN BUCHENWALD Ab dem 31. März 1938 war Johannsen dann Leitender Zahnarzt der SS-Zahn- station des Konzentrationslagers Buchenwald. 26 Damit erlangte er Ein- blicke in die nationalsozialistischen Konzentrationslager und die dort gängige Praxis. Dass die KZs von den Nationalsozialisten als Terrorinstru- ment gegen politisch Andersdenkende, Homosexuelle, Zeugen Jehovas und Juden genutzt wurden, kann ihm nicht verborgen geblieben sein. Gleiches gilt für die immense Zahl der Opfer: Von circa 23.000 Häftlingen im Jahr 1938 starben knapp 800 und im Jahr 1939 fanden von 20.000 Häftlingen über 1.200 den Tod. 27 Während seiner Tätigkeit im KZ Buchenwald konnte Johannsen offen- bar auch seine Dissertation fertig- stellen: Am 12. Juni 1939 wurde er in München über „Besondere Verände- rungen an den Zähnen und Biss- verhältnissen nach Kieferbrüchen“ promoviert. 28 Das Thema hatte insbe- sondere durch die im Ersten Weltkrieg häufig aufgetretenen Kieferverletzun- gen an Relevanz gewonnen. 29 Das Ziel Johannsens war es, herauszustellen, dass eine „natürliche Gelenkfunktion“ nach Kieferschädigung unter bestimm- ten Voraussetzungen erhalten bleiben kann. 30 Somit handelte es sich um eine Thematik, die einerseits auf den zu- künftigen Weltkrieg vorbereitete und sich andererseits auch in die von den Nationalsozialisten propagierte „Neue Deutsche Heilkunde“ – einer kruden Mischung aus Alternativmedizin und NS-Ideologie – einfügte. Wie lange Johannsens Tätigkeit im KZ Buchenwald andauerte, ist anhand der überlieferten Quellen nicht zu rekonstruieren. In seiner SS-Personal- akte ist verzeichnet, dass er mit der SS- Verfügungstruppe 1940 am Westfeld- zug teilnahm und auch danach noch bei der Verfügungstruppe eingesetzt war. 31 Ab dem 28. Juni 1941 war er als SS-Standortzahnarzt und in der SS- Standortkommandantur in Hamburg eingesetzt und damit heimatnah sta- tioniert. Ab diesem Zeitpunkt hielt er sich für fast anderthalb Jahre in Hamburg auf. 32 Währenddessen war er Anfang 1942 zur Fortbildung zwei Monate in der Kieferchirurgie des Eppendorfer Krankenhauses bei Klinik- direktor Prof. Hans Pflüger (1884–1967) tätig. 33 Pflüger war selbst SS-Mitglied und hatte die Berufung auf den Ham- burger Lehrstuhl eindeutig den Partei- verantwortlichen sowie der Unterstüt- zung durch die SS zu verdanken. 34 Im Juli/August 1942 war Johannsen kurz- zeitig in Norwegen tätig. 35 Ab dem 8. Februar 1943 wurde Jo- hannsen schließlich in das SS-Füh- rungshauptamt, Amtsgruppe D, Amt XIV „Zahnärztlicher Dienst“ versetzt, wo er zunächst als Stellvertretender Amtschef fungierte. 36 Ab September desselben Jahres leitete er dann die Amtsgeschäfte. 37 Diese Abteilung war zuständig für die Verwaltung aller zahnärztlichen Belange der Waffen- SS; 38 Johannsen hatte somit eine der höchsten zahnärztlichen Positionen innerhalb der SS-Verwaltung inne. Zwar fielen die KZ-Zahnstationen nicht in seinen Zuständigkeitsbereich – hier- für war Hermann Pook im SS-Wirt- schafts-Verwaltungshauptamt verant- wortlich 39 –, doch Johannsen musste über die Situation in den KZs infor- miert gewesen sein, da es einen regel- mäßigen Personalaustausch zwischen Frontverbänden der Waffen-SS und Konzentrationslagerpersonal gab. 40 ER VERFÜGTE MIT ÜBER DAS GERAUBTE ZAHNGOLD Darüber hinaus hatte Johannsen offen- kundig Kenntnis vom Zahngoldraub und der weiteren Verwertung des Goldes: Das den toten Häftlingen ge- raubte Zahngold wurde an Johannsens Dienststelle geliefert 41 und anschlie- ßend im SS-Sanitätslager gelagert, das sich in derselben Amtsgruppe befand. 42 Anträge auf Zahnersatz von SS-Angehörigen mussten durch Johannsen beziehungsweise seine Dienststelle genehmigt werden, 43 sodass er über das Gold informiert war und mit darüber verfügte. Am 29. Juli 1944 erfolgte Johannsens letzte Beförderung zum Obersturm- bannführer (rückwirkend zum April 1944) 44 . In der betreffenden Beurteilung hieß es: „Dr. Johannsen ist politisch vgl. Groß et al., 2018; 19 BA Berlin, SS-Stammblatt; 20 BA Berlin, Lebenslauf vom 16.11.1936; 21 Persönliche Mitteilung von D.J.; 22 BA Berlin, SS-Stammblatt; 23 BA Berlin, SS-Stammblatt; 24 Johannsen, 1939, S. 22f.; BA Berlin, Lebenslauf vom 16.11.1936; 25 BA Berlin, SS-Stammblatt; 26 BA Berlin, Beförderungsvorschlag vom 06.06.1939; 27 Stein, 2006, 347; 28 BA Berlin, Meldung zur Promotion vom 01.04.1944; 29 Johannsen, 1939, 6; 30 Johannsen, 1939, 6; 31 BA Berlin, Aktennotiz vom 17.07.1944; 32 BA Berlin, SS-Stammblatt; BA Berlin, Beförderung vom 28.02.1942; 33 BA Berlin, SS-Stammblatt; BA Berlin, Kommandierung vom 30.01.1942; 34 Guhl, 2018, 243f.; 35 BA Berlin, Kommandierung vom 24.07.1942; 36 BA Berlin, Kommandierung vom 09.02.1943; Beförderungsvorschlag vom 01.03.1944; 37 BA Berlin, Kommandierung vom 24.09.1943; 38 Schulz, 1989, 44; 39 Schmidt/Groß/Westemeier, 2018; Westemeier Groß/Schmidt, 2018; 40 Schulz, 1989, 44; 41 Schulz, 1989, S. 62f.; 42 Schmidt/Groß/Westemeier, 2018, 117f.; Westemeier/Groß/Schmidt, 2018, 107; Hahn, 2015, 364f.; Foto: BA Berlin, R 9361-III/533694 Helmut Johannsen (1935) | 69

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