Zahnärztliche Mitteilungen Nr. 14
und weltanschaulich gefestigt, charak- terlich einwandfrei und genügt in jeder Weise allen Anforderungen, die an einen SS-Führer in dienstlicher, führungsmäßiger und soldatischer Hinsicht gestellt werden.“ 45 Mit dem Rang des Obersturmbannführers (ver- gleichbar dem Oberstleutnant) hatte Johannsen mit nur 36 Jahren einen der höheren Offiziersränge inne und einen der höchsten Ränge, den Zahn- ärzte in der SS bis 1945 erreichten. 46 ERMITTLUNGEN OHNE KONSEQUENZEN Gegen Kriegsende wurde Johannsens Dienststelle zunächst ins Sudeten land ausgelagert. Von dort aus versuchte er zusammen mit seinen Kollegen, nach Österreich in westalliierte Kriegsgefan- genschaft zu gelangen. Anschließend saß er bis 1948 als Internierter im Lager Fallingbostel ein. 47 Am 16. Februar 1948 wurde Johannsen dann nach Hörnum auf Sylt entlassen. 48 Die Wahl des Auf- enthaltsorts hatte private Hintergrün- de: Seine Familie hatte die Wohnung in Hamburg nach Kriegsende verlassen müssen und war zu einem der Brüder Johannsens nach Sylt gezogen. 49 Am 8. April 1947 eröffnete der zweite US-amerikanische Militärgerichtshof den vierten Nürnberger Nachfolge- prozess gegen den Chef des SS-Wirt- schafts-Verwaltungshauptamtes Oswald Pohl und 17 seiner ehemaligen Mit- arbeiter. 50 Johannsen wurde zur Rolle der Amtsgruppe D befragt, da bei den Siegermächten wegen der gleichnamigen Amtsbezeichnungen (Amtsgruppe D) im SS-Führungshauptamt und dem SS-Wirtschafts-Verwaltungshauptamt Verwirrung herrschte. 51 Anders als die nach 1945 insgesamt 48 wegen Kriegs- verbrechen angeklagten Zahnärzte 52 wurde Johannsen nicht vor Gericht ge- stellt. Zwar wurden Anfang der 1960er- Jahre durch die Staatsanwaltschaft Köln Ermittlungen gegen Johannsen aufge- nommen, doch führte dies nicht zu juristischen Konsequenzen. 53 Nach dem Krieg war ihm die zahnärztliche Approbation entzogen worden, aller- dings wurde sie ihm nach gerichtlichen Auseinandersetzungen (1949 und 1950) wieder zuerkannt. 54 Somit konnte Johannsen seine beruf- liche Karriere fortsetzen: Er ging zu- rück nach Hamburg und übernahm in Rotherbaum eine große Praxis in Räumlichkeiten, die er auch als Wohnung nutzte, die Familie folgte später. 55 Noch 1975 ist er als prakti- zierender Zahnarzt in der Hamburger Klosterallee 53 nachweislich. 1978 – im Alter von nunmehr 70 Jahren – war er dann in der Oberstraße 5 wohnhaft, allerdings nicht mehr berufstätig. 56 Helmut Johannsen starb am 14. März 1994 im Alter von 86 Jahren in der Hansestadt. Innerhalb der Familie Jo- hannsen wurde über das national- sozialistische Regime und die damit einhergehende Weltanschauung kaum gesprochen. 58 Eine kritische Auseinan- dersetzung mit der Vergangenheit er- folgte – zumindest nach außen – nicht. Vielmehr versuchte er noch in den 1980er-Jahren, die Bedeutung seiner Dienststelle und damit auch seine eigene politische Rolle herunter- zuspielen. 59 43 Sammlung Deprem-Hennen, Antrag auf Zahnersatz für Oswald Pohl vom 22.09.1943; Deprem-Hennen/Westemeier, 2018, 118; 44 BA Berlin, Beförderung zum Obersturmbannführer vom 29.06.1944; 45 BA Berlin, Beförderungsvorschlag vom 01.03.1944; 46 Westemeier/Groß/Schmidt, 2018, 103; 47 Scherf, 1987, 44; 48 Persönliche Mitteilung D.J.; Scherf, 1987, 325; 49 Persönliche Mitteilung D.J.; 50 Schmidt/Groß/Westemeier, 2018, 118; 51 Verhandlungsprotokoll Nürnberger Prozess IV, Bl. 7522; 52 Rinnen/Westemeier/Groß, 2020; 53 Scherf, 1987, 325; BA Berlin, BY5/V279/131; 54 Schulz, 1989, 91; 55 Persönliche Mitteilung D.J.; 56 DZA, 1975, 310; DZA, 1978, 295; 57 Riaud behauptete dagegen irrtümlich, dass Johannsen im Jahr 2004 noch gelebt habe: Riaud, 2015, 140; vgl. auch Riaud, 2015, 108, 111, 139–141; 58 Persönliche Mitteilung D.J.; 59 Schulz, 1989, 132. ZM-SERIE: TÄTER UND VERFOLGTE IM „DRITTEN REICH“ Georg Michelsohn – Zahnarzt in Dessau, Dichter, Flucht nach Tel-Aviv Thorsten Halling, Matthis Krischel Der jüdische Dichter Eli Elkana und seine oft autobiografisch geprägte Lyrik wurden seit Beginn der 1990er-Jahre in seiner Heimatstadt Dessau wiederentdeckt. Hinter diesem Pseudonym verbirgt sich der Zahnarzt Georg Michelsohn (1876–1968), der hier 1911 eine Praxis eröffnete und sich in der Weimarer Republik der sozialen Zahnheilkunde zuwandte. Schon vor 1933 hatte er Gedichte gegen den aufkommenden Faschismus veröffentlicht und musste als einer der ersten Dessauer Juden ins Exil fliehen. G eorg Michelsohn wurde am 11.12.1876 in Königsberg/ Ostpreußen geboren. Noch in seiner Schulzeit zog die Familie nach Berlin. Nach dem Abitur studierte er an der Friedrich-Wilhelms-Universität in Berlin Zahnheilkunde. 1911 eröffnete Michelsohn in Dessau eine eigene Praxis. Ein Jahr später heiratete er Margaret Sittenfeld und gründete eine Familie. Sein Sohn Fred wurde 1912, seine Tochter Ilse-Irene 1917 geboren. Einer früheren Beziehung entstammte sein Sohn Gideon, geboren 1907. Die Ehe der Michelsohns ging später 70 | GESELLSCHAFT
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