Zahnärztliche Mitteilungen Nr. 14

Sein dichterisches Werk lebt besonders von seiner kritischen Auseinander- setzung mit der Vergangenheit und Zukunft des Judentums, vor allem mit der Frage von Assimilation und Zionismus. Darauf verweist auch das gewählte Pseudonym „Eli Elkana“, das mit eifersüchtiger oder rächender Gott übersetzt werden kann. Das Alte Testa- ment kennt „ein Sich-Ereifern JHWHs, das sich heilbringend auf das Volk aus- wirkt und die Erneuerung Israels und seinen bleibenden Stand vor Gott zum Ziel hat“. 14 Das zeittypische Kriegspathos von 1914 wich nach Ende des Ersten Weltkriegs pazifistischen Tönen. 15 Michelsohn veröffentlichte unter seinem Pseudo- nym zehn Gedichtbände, davon zwei jeweils stark erweiterte Auflagen der „Sonette“. 16 Die zeitgenössische Rezeption scheint freundlich gewesen zu sein, diesen Eindruck vermitteln zu- mindest die in den Gedichtbänden veröffentlichten sowie in Elkanas Nachlass überlieferten Kritiken. Bemerkenswert ist die überaus positive Besprechung von Börries von Münchhausen: „Mir liegt das Buch ‚ Gottsucher‘ am Herzen wegen seines tiefen künstlerischen und mensch- lichen Ernstes.“ 17 Von Münchhausen war bis in die 1960er-Jahre ein in der Germanistik geschätzter Balladen- dichter, allerdings während des NS stark in die antisemitische Kultur- politik eingebunden. 18 Mit Elkana, der ihn 1950 in einem Brief als „meinen gottseligen Freund“ bezeichnete 19 , ver- band ihn zwischen 1926 und 1939 ein reger Briefwechsel. 20 Beide einte das Eintreten für den Zionismus, wenn auch aus gegensätzlichen Perspektiven. Dies trennte Michelsohn wiederum von der um Assimilation bemühten jüdischen Gemeinde Dessaus, insbe- sondere, da er seit Beginn der 1930er- Jahre im sozialdemokratischen „Volks- blatt für Anhalt“ immer wieder provozierende politische Gedichte veröffentlichte, die explizit vor dem Faschismus warnten und dessen Ver- treter verhöhnten. „ZERSCHMETTERT, ZU STINKENDEM AAS“ Michelsohn war bereits seit 1932, als die NSDAP in Anhalt die Wahl ge- wonnen hatte, in großer Gefahr. Am 20. März 1933 flüchtete er als einer der ersten Dessauer. Von Prag aus organi- sierte er die schwierige Weiterreise ins britische Mandatsgebiet Palästina. Im April entstand ein sehr hellsichtiges Gedicht zur Zukunft Deutschlands: „Weh deinem ‚ verführten‘ Volke! Schon zieht herauf übers Hakenkreuz Eine blitzenschwangere Wolke! Bald werden die Städte von Askanas Wie tönerne Töpfe zerschmettert, Zu stinkendem Aas und zum Rabenfraß Die prahlerisch selbst sich vergöttert.“ 21 In Palästina erschien nur noch ein Gedichtband Elkanas, „Rabbi Lurjes Prophezeiung“ (1939), von den weite- ren bis zum seinem Tod am 5.12.1968 in Ramath Gan bei Tel Aviv entstande- nen Werken sind die Manuskripte er- halten. In „Die kabbalistische Formel“ von 1949 verfasste er einen Prolog mit einer poetischen Umschreibung der Bücherverbrennung im Jahr 1933: „Mein zehntes Werk! Wo seid ihre anderen neun? Es frassen euch der Scheiterhaufens Flammen! Die Henker mög‘ zu ew’ger Höllenpein Der der Rache mittleidlos verdammen! Symbolisch war der Tag, der Narrentag, Als um den Pranger häuften bienenfleissig Verrohte Burschen meines Hirns Ertrag Am ersten im April-Mond dreiundreissig!“ 22 Heute ist Michelsohn/Elkana in der deutschen Literaturwissenschaft weit- gehend vergessen, weder in den gro- ßen deutschen Literaturlexika noch in speziellen Forschungsarbeiten zu jüdischen Diskursen in der deutschen Literatur 23 finden sich entsprechende Einträge. Wiederentdecken können die Leser die Gedichte unter anderem in der Schriftenreihe der Moses-Mendel- sohn Gesellschaft e.V. 24 Zentrale Impulse zum Gedenken an die Verfolgten des Nationalsozialismus gingen seit den 1980er-Jahren häufig von lokalen Initiativen aus – im besten Sinne einer „Geschichte von unten“. Die lange Zeit nicht gestellte Frage „Was wurde aus den jüdischen Nach- barn?“ rückte in den Fokus heimat- kundlicher Forschungen. Schon in 13 Elkana, 1927; 14 Sedlmeier, 2014, http://www.bibelwissenschaft.de/stichwort/1701/ (15.06.2020); 15 Ulbrich, 2015, S. 17–20; 16 Vgl. Werkverzeichnis in: Eli Elkana – Dr. Georg Michelsohn. Auszüge aus seinen Werken, S. 45–49; 17 Börries, Freiherr von Münchhausen, S. 152; 18 Hermann, 2009; 19 Leo Baeck Institute Archives Manuscript Collection (MS 37); 20 Insgesamt 43 Briefe von und an Eli Elkana sind im Nachlass von Börries von Münchhausen erhalten. Goethe- und Schiller-Archiv / Klassik Stiftung Weimar; 21 Elkana, 1998, S. 29; 22 Leo Baeck Institute Archives Manuscript Collection (MS 37), S. 3; 23 Lamping, 1998; 24 Elkana, 1998; 25 Grossert, 1993; 26 Grossert, 2004, S. 17; 27 Herz-Michl/Mäbert, 1998, S. 36–41; 28 Die „Irene White: papers relating to Eli Elkana and the Holocaust in Luckenwalde“ (Collection Reference 1761) lagern in der Wiener Library, London; 29 https://www.projektgegenpart.de/ chronik/indexe585.html [15.06.2020]; 30 ELI ELKANA – eine denkwürdige Persönlichkeit. Große Ehre für eine fast vergessene Persönlichkeit, http://www. partnerschaft-fuer-demokratie.de/index.php/181-eli-elkana-ehrung [15.06.2020]; 31 Grossert, 1995, 7. Abb. 2: Einladung zur Veranstaltung „Eli Elkana (Dr. Georg Michelsohn) – eine bedeutsame Persönlichkeit der Dessauer Geschichte“ am 5. Dezember 2018. Mit freundlicher Genehmi- gung der Jüdischen Gemeinde zu Dessau. ZM-LESERSERVICE Die Literaturliste kann auf www.zm-online.de abgerufen oder in der Redaktion angefordert werden. 72 | GESELLSCHAFT

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