Zahnärztliche Mitteilungen Nr. 15-16

zm 110, Nr. 15-16, 16.8.2020, (1488) AUS DER WISSENSCHAFT Frühe radiologische Anzeichen für eine medikamentenassoziierte Kiefernekrose Peer W. Kämmerer Gibt es bei Patienten unter antiresoptiver Medikation Veränderungen in der Knochenstruktur, die bereits vor einer Diagnose Hinweise auf die Entwicklung einer medikamentenassoziierten Kiefernekrose geben und in Bildgebungs- verfahren erkannt werden können? Dieser Frage ging ein Team der Universitäten Leuven und Sao Paulo nach. A ntiresorptive Medikamente wie Bisphosphonate oder anti- RANKL-Antikörper werden häufig bei der Osteoporosetherapie eingesetzt, aber auch bei der Osteodys- trophia deformans (Morbus Paget), der Hyperkalzämie oder beim multiplen Myelom sowie bei Patienten mit Knochenmetastasen zur Reduktion des durch Osteoklasten vermittelten Knochenabbaus. Im Kieferbereich stellt die Entwicklung einer medikamenten- assoziierten Kiefernekrose (MRONJ) oft eine Nebenwirkung der antiresorpti- ven Medikation dar. Zur Diagnose müssen drei Kriterien zutreffen: \ exponierter/sondierbarer Knochen über mehr als acht Wochen, \ aktuelle oder frühere Einnahme antiresorptiver Medikamente, \ Abwesenheit einer Bestrahlung und offensichtlicher Metastasie- rung im Kopf-Hals-Bereich. Das Stadium 0 der MRONJ beschreibt ein Frühstadium der Erkrankung, in dem noch kein freiliegender Knochen sichtbar ist, aber unspezifische Symptome wie Schmerzen und neurosensorische Verän- derungen bestehen. Radiologisch liegen hier bereits Veränderungen der Kiefer- knochenstruktur vor. In ihrer systematischen Literaturüber- sicht untersuchte die Gruppe um Prof. Dr. Reinhilde Jacobs, ob Bildgebungs- verfahren in der Lage sind, solche knöchernen Veränderungen bei Risiko- patienten und Patienten im Stadium 0 zu detektieren beziehungsweise festzu- stellen, welche Veränderungen bei diesem Kollektiv überhaupt vorliegen. Die Frage war auch, wann es zu den ossären Auffälligkeiten kommt, ob eine Assoziation zwischen Knochenverän- derungen und Art/Dosis der anti- resorptiven Medikation besteht und ob ein Zusammenhang zwischen ossären Veränderungen und der späteren Ent- wicklung einer MRONJ besteht. Dazu wurden aus 1.188 Artikeln 42 (39 Stu- dien an Menschen und acht an Tieren) extrahiert und quantitativ ausgewertet. Im Ergebnis wies die Knochenszinti- grafie eine höhere Traceraufnahme in Arealen auf, an denen sich später eine MRONJ entwickelte. Bei Patienten im Stadium 0 zeigte sowohl die 2-D- als auch die 3-D-Bildgebung Sklerosierun- gen, Veränderungen in der trabekulä- ren Ausrichtung, Osteolysen, fleckig erscheinende Knochenstrukturen, eine verdickte Lamina dura, persistierende Extraktionsalveolen und Veränderun- gen um den Canalis mandibularis. Die 3-D-Bildgebung konnte periradikuläre Radioluzenzen, kraterartige Defekte, eine verdickte mandibuläre Kortikalis, Knochensequester und Unregelmäßig- keiten in der ossären Kortikalis besser darstellen. Die Frage nach dem Zeit- punkt des Beginns der Knochenverän- derungen beantwortete die Literatur nicht. Eine Assoziation zwischen Kno- chenveränderungen und Art/Dosis der antiresorptiven Medikation ließ sich ebenso wenig wie der Zusammenhang zwischen den knöchernen Verände- rungen und der Entwicklung einer MRONJ bei Risikopatienten und Pa- tienten im Stadium 0 aus Einzelstudien nachweisen. Zusammengefasst verändert die Ein- nahme antiresorptiver Medikamente radiologisch erkennbar die Kieferkno- chenstruktur, wobei Sklerosierungen am häufigsten zu finden sind. Die umfangreiche Arbeit unterstreicht die Notwendigkeit, bei Patienten unter antiresorptiver Medikation – am bes- ten vor der ersten Einnahme und vor einer zahnärztlichen Behandlung – eine radiologische Basisuntersuchung im Kieferbereich durchzuführen, die im Verlauf als Grundlage für die Nach- sorge dienen kann. \ Moreno-Rabié, C., Gaêta-Araujo, H., Oliveira-Santos, C., Politis, C., Jacobs, R., Early imaging signs of the use of anti- resorptive medication and MRONJ: a systematic review. Clin Oral Invest (2020). https://doi. org/10.1007/s00784–020–03423–0 Foto: Peer W. Kämmerer Abb.1: Medikamentenassoziierte Knochennekrose im Oberkieferbereich. Quelle: Peer W. Kämmerer Abb. 2: DVT in axialer Schicht. Im rechten Unterkiefer ist eine ausgeprägte Sequesterbildung mit umgebenden Sklerosierungen zu erkennen. 30 | ZAHNMEDIZIN

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