Zahnärztliche Mitteilungen Nr. 15-16
zm 110, Nr. 15-16, 16.8.2020, (1504) FORTBILDUNG VERGRÖßERUNGSHILFEN IN DER ZAHNMEDIZIN Vergrößerungshilfen in der Endodontie Michael Arnold Dort wo an feinsten anatomischen Strukturen gearbeitet wird, können Zahnärzte jede Möglichkeit des detailscharfen Sehens gut gebrauchen. So ist der Nutzen von Vergrößerungshilfen und insbesondere des Dentalmikroskops in der Endodontie weitgehend unbestritten. Der Einsatz eines Dentalmikroskops reduziert Behandlungsrisiken, fördert minimalinvasiveres Arbeiten und macht die Anwendung einiger neuer Therapieverfahren überhaupt erst möglich. I n der Zahnmedizin besteht zwischen dem Patienten und dem Behandler ein räumlich naher Kontakt, um diagnos- tische oder therapeutische Aufgabenstellungen erfolgreich realisieren zu können. Die Distanz kann je nach Erfahrung und Aufgabenstellung im klinischen Alltag zwischen 20 und 60 cm variieren. Damit kleinste Details erkannt und differenziert werden kön- nen, wird häufig der Arbeitsabstand vom Behandler zum Patienten verringert. Mit dem Verkürzen des Arbeitsabstands kann die Vergrößerungsleistung des Auges zu einem gewis- sen Grad erweitert werden, so dass scheinbar ein großer Teil zahnärztlicher Leistungen ohne optische Hilfsmittel in hin- reichender Qualität zu erbringen ist. Ab einem Lebensalter von etwa 40 Jahren gelingt die Nahakkommodation („Scharfstellung“ naher Objekte) aber nur noch unvollstän- dig durch einen stetig zunehmenden Verlust an Elastizität der Linse und der Ermüdung des Ziliarmuskels am mensch- lichen Auge [Betz, 1998; Perrin et al., 2016]. Im Ergebnis dieser Kompensation können durch Fehl- stellungen in der Körperhaltung akute und chronische Be- schwerden im Stützapparat und der neuronalen Versor- gung auftreten. [Rundcrantz, 1991; Kerschbaum & Hilger, 2000; Reitemeier et al., 2012]. Darüber hinaus erhöht sich durch die Verkürzung des Arbeitsabstands auf unter 50 cm das Risiko einer Infektionsübertragung. Infektiöse Aerosole stellen ein erhebliches Gesundheitsrisiko für das zahnärzt- liche Personal dar [Bentley et al., 1994; Leggat, 2001; Harrel & Molinari, 2004; Szymanska, 2007]. Insbesondere SARS- CoV-2 lassen sich auf Schleimhaut und Zunge des Patien- ten nachweisen und können über Aerosole übertragen wer- den [Xu et al., 2020]. Deshalb werden bereits seit vielen Jahren optische Hilfsmittel in der zahnärztlichen Diagnostik und Therapie empfohlen [Baumann, 1975; Velvart, 1996; Klimm, 2003; Friedmann, 2004; Arnold, 2007; Mamoun, 2009]. Einer Umfrage unter amerikanischen Endodontologen aus dem Jahr 1999 zufolge nutzten 52 Prozent der Befragten ein Mikroskop. Die Ergeb- nisse einer erneuten Befragung im Jahr 2007 zeigten bereits einen Anteil der Mikroskopnutzer von 90 Prozent [Kersten et al., 2008]. VOM OP- ZUM DENTALMIKROSKOP Erste Empfehlungen für den Einsatz von Mikroskopen in der Zahnmedizin finden sich bereits Anfang des 20. Jahrhun- derts [Bowles, 1907]. In Deutschland wurde das Operations- mikroskop erstmals 1975 durch den Würzburger HNO-Arzt und Zahnarzt Baumann für den zahnärztlichen Einsatz empfohlen [Baumann, 1975]. Insbesondere für die zahnärzt- liche Diagnostik erschien das Mikroskop hilfreich [Jurkschat, 1979]. Erst mit der weiteren technischen Entwicklung von Opera- tionsmikroskopen zu Dentalmikroskopen gelang in den 90er-Jahren eine bessere Integration in die zahnärztliche Praxis und in die zahnärztliche Ausbildung [Arnold & Klimm, 2004]. Ursache für die langsame Integration in die Praxis waren vor allem die schwere Beweglichkeit am Stativ, die unzureichende Beleuchtung und die fehlende Variabilität der Optik. Mit der Einführung von verbesserten mechanischen und magnetischen Bremsen, verbesserten Lichtleitern und dem Schwenktubus wurde ein flexibles Arbeiten am Patienten möglich. DER NUTZEN IN DER ENDO Der Nutzen des Mikroskops in der Zahnmedizin wurde vor allem in der Endodontie und Endochirurgie nachgewiesen [Saunders & Saunders, 1997; West, 2000; Kim & Baek, 2004]. In der Endodontie gelingt es nicht ohne Hilfe einer optischen Vergrößerung, Details am Wurzelkanaleingang oder innerhalb des Wurzelkanals zu differenzieren. Dabei spielen allerdings Lupenbrillen aufgrund der zu geringen Vergrößerung und Lichtzufuhr [Perrin et al., 2013] kaum eine Rolle – die in der Endodontie maßgebliche Vergrößerungs- hilfe ist das Mikroskop. Mit der Nutzung des Dentalmikroskops gelingt es, Wurzel- kanalsysteme sicher und reproduzierbar aufzufinden [Baldassari-Cruz et al., 2002; Brignardello-Peterson, 2017; de Oliveira et al., 2019; Görduysus et al., 2001; Karapinar- Kazandak et al., 2010; Schwarze et al., 2002]. So wurde am Beispiel der oberen ersten Molaren nachgewiesen, dass ZM-LESERSERVICE Die Literaturliste kann auf www.zm-online.de abgerufen oder in der Redaktion angefordert werden. 46 | ZAHNMEDIZIN
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