Zahnärztliche Mitteilungen Nr. 15-16
zm 110, Nr. 15-16, 16.8.2020, (1524) ZM-SERIE: TÄTER UND VERFOLGTE IM „DRITTEN REICH“ Hermann Euler (1878–1961) – Ein Nationalsozialist der leisen Töne Dominik Groß Hermann Euler gilt neben Otto Walkhoff 1 als einflussreichster deutscher Zahnarzt des 20. Jahrhunderts. Kein anderer bekleidete das Amt des DGZMK-Präsidenten so lange wie er: Er stand der Gesellschaft von 1928 bis 1954 vor – und damit in drei politischen Systemen (Weimarer Republik, „Drittes Reich“, Bundesrepublik). Doch wer war dieser Mann, wie verlief sein Leben und inwiefern wurde er im Nationalsozialismus zu einem Täter? 2 E uler wurde am 13. Mai 1878 in Karlsberg in der Pfalz geboren. Sein Vater war Pfarrer und Gym- nasiallehrer für Religion. 1897 nahm er das Medizinstudium auf, 1902 legte er das Examen ab. Im selben Jahr promo- vierte er in Erlangen über die „Magen- verdauung“. 3 1904 wurde er Assistenz- arzt an einer Erlanger Heilanstalt, entschied sich jedoch bald zu einem Zweitstudium der Zahnheilkunde in Heidelberg, das er bereits 1905 abschloss, um dann am dortigen Zahnärztlichen Institut eine Assisten- tenstelle anzutreten. Nach seiner Habilitation 1907 über den „Pulpentod“ 4 wurde Euler 1911 nichtbeamteter außerordentlicher Pro- fessor an der Universität Erlangen und Vorstand der zahnärztlichen Poliklinik. Von 1914 bis 1918 betreute er in Erlan- gen zudem eine Station für Gesichts- verletzte. 1921 folgte eine planmäßige außerordentliche Professur für Zahn- heilkunde in Göttingen und 1924 akzeptierte er einen Ruf auf eine ordentliche Professur an der Universi- tät Breslau. Hier fungierte Euler bis 1945 als Direktor des Zahnärztlichen Instituts. Nach dem verlorenen Krieg floh er aus Breslau und wirkte kurzzeitig an der Universität Leipzig, wurde dort jedoch Ende 1945 entlassen. Im Juni 1946 ver- ließ er die sowjetisch besetzte Zone und ging nach Coburg. 1947 erhielt der mittlerweile 69-Jährige einen Lehr- auftrag an der Universität zu Köln. Hier erfolgte 1955 seine förmliche Emeritierung in der Rechtsstellung eines ordentlichen Professors. Euler verstarb am 17. April 1961 in Köln an den Folgen eines Unfalls. Ihm waren aufgrund von Röntgenstrahlenschäden zwei Finger der linken Hand amputiert worden: „Behindert durch eine Gips- manschette [.…] stürzte er so unglück- lich auf der Treppe seiner Wohnung, daß er wenige Tage später [...] starb“. 5 MIT ÄMTERN, PREISEN UND TITELN DEKORIERT Euler erlangte zu Lebzeiten zahlreiche wichtige Ämter und Auszeichnungen: 6 So wurde ihm 1920 die Ehrendoktor- würde der Universität Erlangen zuge- sprochen. In den Jahren 1930 und 1933 bis 1936 wirkte er als Dekan der Medizinischen Fakultät in Breslau. 1932 erfolgte seine Berufung in die Leopoldina und 1943 erhielt er den Goldenen Ehrenring der Deutschen Zahnärzteschaft. Die wichtigsten Nachkriegsauszeichnungen waren 1953 das Große Verdienstkreuz des Verdienstordens der Bundesrepublik (als erster deutscher Zahnarzt) und die Ehrenpräsidentschaft der DGZMK sowie 1955 die Etablierung der „Hermann-Euler-Medaille“ durch die DGZMK. Darüber hinaus erhielt Euler 1957 den Miller-Gedächtnis-Preis der Fédération Dentaire Internationale (FDI) und 1959 eine Ehrendoktorwür- de der Universität Leipzig. 1962 gab die FDI schließlich posthum eine „Gedenkmedaille“ 7 zu seinen Ehren heraus. Während Eulers fachpolitische Bedeu- tung als DGZMK-Präsident unstrittig ist, wird sein klinischer Einfluss auf die Zahnheilkunde gemeinhin über- schätzt. Er trat weder durch wegwei- sende technische oder operative Ent- wicklungen noch durch besondere manuelle Fertigkeiten in Erscheinung, sondern war eher ein (Lern-)Didaktiker und Systematiker. Besonders pointiert beschreibt dies sein Schüler Carl-Heinz Fischer, der Eulers Patientenvorstellun- gen und Beschreibung von Krankheits- bildern im Unterricht als „meisterhaft“ würdigt, aber ebenso betont, dass Euler „lieber theoretisch als praktisch 1 Groß (2017), 100–102; 2 Maretzky (1961), 459f. Rebel (1961), 1197–1200; Ritter (1961), 433–435; Zilkens (1961), 457f.; Wasserfuhr (1969); Staehle/ Eckart (2005), 677–694; Klee (2013), 140f.; Groß/Schmidt/Schwanke (2016), 129–171; Groß (2018a), 92f.; 3 Euler (1902); 4 Euler (1907); 5 Wasserfuhr (1969), 10; 6 Wasserfuhr (1969); Staehle/Eckart (2005), 677–694; Groß/Schmidt/Schwanke (2016), 129–171; Groß (2018a), 92f. 7 ; Heckert (2006), 60f. 8 Fischer (1985), 96 u. 98. PROF. DR. DR. DR. DOMINIK GROß Institut für Geschichte, Theorie und Ethik der Medizin der RWTH Aachen Klinisches Ethik-Komitee des Universitätsklinikums Aachen MTI 2, Wendlingweg 2, 52074 Aachen dgross@ukaachen.de Foto: privat 66 | GESELLSCHAFT
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