Zahnärztliche Mitteilungen Nr. 15-16
zm 110, Nr. 15-16, 16.8.2020, (1525) Zähne“ entfernt habe. 8 Eulers wichtigs- tes Werk war demgemäß das bereits 1914 verfasste, mehrfach aufgelegte „Lehrbuch der Zahnheilkunde“. 9 Er hinterließ circa 240 Publikationen zu verschiedenen Teilgebieten des Fachs. 10 Euler gehörte nicht zu den zahnärztli- chen Hochschullehrern, die mit NS- Parolen Schlagzeilen machten oder dem Regime demonstrativ huldigten, wie etwa Karl Pieper. 11 Seine Einstel- lung zum Nationalsozialismus er- schließt sich erst beim Studium seiner Publikationen und der überlieferten Archivalien: Aktenkundig ist, dass Euler unmittelbar nach der Lockerung der von Mai 1933 bis Mai 1937 verhängten Mitgliedersperre in die NSDAP eintrat – besagte Sperre war eingeführt worden, um politische Opportunisten von der Partei fernzu- halten (Aufnahme am 1. Mai 1937, Nr. 4.660.341). Euler war außerdem Mitglied im NS-Lehrerbund, im NS-Kraftfahrkorps, in der NS-Volks- wohlfahrt, im NS-Altherrenbund, im NS-Ärztebund und im NS-Dozenten- bund. 12 VERANTWORTLICH FÜR DIE „SÄUBERUNGSAKTIONEN“ Es besteht kein Zweifel, dass Euler sich dem NS-Regime andiente und es durch seine Amtsführung maßgeblich stütz- te. Er setzte 1933 die politische Gleich- schaltung des nunmehr „DGZMK“ ge- nannten Central-Vereins um – in enger Abstimmung mit NS-Reichs- zahnärzteführer Ernst Stuck, der sein Einvernehmen mit Euler stets betonte. 13 Bereits 1933 sprach Euler in einem Beitrag die Erwartung aus, dass „im Neuen Deutschland“ eine am Volks- bedarf orientierte Ernährungspolitik umgesetzt werde. 14 1934 skizzierte er dann die Rolle der „neuen“ gleichge- schalteten DGZMK: „Viel weiter sind jetzt ihre Grenzen gesteckt, ganz neue Aufgaben und Möglichkeiten sind ihr erwachsen, seit auch sie [...] in den gemeinsamen Stand im neuen Reich eingegliedert worden ist [...]. Nun heißt es erst recht arbeiten und sich des Vertrauens würdig erweisen“. 15 Im selben Jahr trug Euler als Dekan der Breslauer Medizinischen Fakultät die Verantwortung für „Säuberungsaktio- nen“ zulasten jüdischer Kollegen. Dabei sprach er sich „bei 15 von 20 Kollegen für die Elimination aus der Fakultät aus“ 16 – spätestens hierdurch wurde Euler zum Täter. 17 Ebenfalls 1934 würdigte er Ernst Lehmann, einen Vertreter der im NS-Staat geför- derten „biologischen Denkweise“, mit dem Zitat, dass die Biologie „ein Kern- stück der nationalsozialistischen Welt- anschauung“ darstelle. 18 Euler selbst vollzog 1938 die Integration der zahn- ärztlichen „Arbeitsgemeinschaft für medizinisch-biologische Heilweisen“ in die DGZMK. Jene AG vertrat die „Neue deutsche Zahnheilkunde“, eine krude Mischung aus „ganzheitlicher“ Medizin und NS-Ideologie. Hierzu gehörte auch die „Forschungsgemein- schaft für Roggenverwertung“, die sich der „Vollkornbrotbewegung“ ver- schrieb. Euler zählte zu den Mitglie- dern dieser Gemeinschaft. 19 Euler äußerte sich zudem vorsichtig zustimmend zu Theorien von „Rassen- forschern“ wie Arthur Hruska, der Parodontalerkrankungen als vornehm- lich „rassebedingt“ ansah. 20 Auch in Eulers Buch zur Geschichte der Karies finden sich Bezüge zur „Rassenkunde“: „Die Franken, ein rassisch gesundes Volk mit naturgebundener Lebenswei- se und naturgebundener Ernährung, trafen bei ihrem Einbruch in das Gebiet des Niederrheins wohl auf die verfeinerte römische Kultur und Zivili- sation, konnten aber deren schädliche Einflüsse durch ihre gesunde Konstitu- tion und durch ihr reines Blut [...] überwinden.“ 21 1942 wurde er in den Beirat der rassenpolitisch ausgerichte- ten „Deutschen Gesellschaft für Konstitutionsforschung“ berufen. Im selben Jahr rühmte er in einem Nach- ruf auf den gefallenen Kollegen Karl Greve dessen „beispielhafte Einsatzbe- reitschaft und Aufopferungsfähigkeit für Führer und Volk“, „die er zuletzt mit dem Heldentod besiegelte“. 22 Euler wurde trotz seiner prominenten Rolle in der Zahnheilkunde des NS- Staates – wie die meisten Parteigenos- sen 23 – als „Mitläufer“ entnazifiziert (1946). Anschließend konnte er auf Vermittlung von Karl Zilkens einen Lehrauftrag in Köln übernehmen, der seine erneute Wahl zum Präsidenten der reaktivierten DGZMK maßgeblich erleichterte. 24 BIS 2005 WURDE ER ALS UNPOLITISCH BESCHRIEBEN In der Fachliteratur bis 2005 wurde Euler zumeist als unpolitische Person beschrieben. 25 Diese Einschätzung fußte vor allem auf seinen „Lebenser- innerungen“ (1949), die durch Verharmlosungen und Auslassungen charakterisiert sind. Er bestreitet dort eine Nähe zum NS-Regime und be- hauptet, selbst von der NSDAP kritisch beäugt worden zu sein – ein Sachver- halt, der sich anhand der Quellen nicht bestätigen lässt. Seine Rolle bei den „Säuberungen“ in Breslau erwähnt 9 Port/Euler (1914); 10 Euler (1925); Euler (1927); Euler (1939); Euler (1948); Euler (1952), 355–363; Euler (1955), 249–257; 11 Groß (2020); 12 Bundesarchiv Berlin R 9361-VIII/8561744; Bundesarchiv Berlin R 4901/13262; 13 Stuck (1943), 141; 14 Euler (1933), 971–978; 15 Euler (1934b), 666; 16 Staehle/Eckart (2005), 681; 17 Groß/Krischel (2020); 18 Euler (1934a), 550f.; 19 Euler (1949), 161 u. 179; Wündrich (2000), 118; 20 Euler (1945), 24; 21 Euler (1939), 170; 22 Euler (1942), 410; 23 Groß (2018b), 164–178; 24 Groß/Schmidt/Schwanke (2016), 129–171; Groß (2018a), 92f.; 25 Groß/Schmidt/Schwanke (2016), 129–171; Schwanke/Krischel/Gross (2016), 2–39; Groß (2019), 158 u. 169. Foto: zm-Archiv Prof. Dr. Dr. h.c. Hermann Euler an seinem 75. Geburtstag mit seiner Frau in Köln. | 67
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