Zahnärztliche Mitteilungen Nr. 15-16

zm 110, Nr. 15-16, 16.8.2020, (1539) al., 2014; Knowles et al., 2003; Koçak- Berberoglu et al., 2011]. Auch im beschriebenen Fall wurde ein Sealer verwendet, der zwar nahezu kein Formaldehyd freisetzt, jedoch spielt eben auch das Ausmaß der Über- stopfung und der damit entstandene Druck im Kanal eine entscheidende Rolle für die Nervschädigung [Tyagi et al., 2013]. Hier zeigt sich in der 3-D-Aufnahme insbesondere die Über- füllung mit Sealer in der zahnnahen, lockeren Spongiosa, aber auch in die benachbarten Weichgewebe lingual und vestibulär. Fonsêca et al. berichten ebenfalls über die Möglichkeit einer Überfüllung mit temporärem Sealer in die Hart- und Weichgewebe und über eine Diffusion ins benachbarte venöse und lymphatische System [Fonsêca et al., 2009]. Das Überpressen von Wurzelfüll- materialien jeglicher Art ist nicht immer sicher zu vermeiden und wird aus juristischer Sicht nicht als Behandlungsfehler gewertet, der Patient muss jedoch ausführlich über das ein- getretene Ereignis in Kenntnis gesetzt werden, insbesondere über noch mögliche Folgeschäden (OLG Hamm 3 U 93/99 vom 15.12.1999). Auch das Überpressen von Wurzelfüllmaterialien in den Canalis mandibularis wird rechtlich nicht als Behandlungsfehler gewertet (LG Detmold 1 O 233/00). Kommt es jedoch zur Nervschädigung, kann dies als Behandlungsfehler bei fehlender Dokumentation der endodontischen Arbeitslänge mittels Röntgenmessaufnahme gewertet werden. Auch der Verzicht auf die postendodontische Kontrollaufnahme ist fehlerhaft (OLG Oldenburg 5 U 118/99). Die Endometrie kann eine Al- ternative zu Röntgenmessaufnahmen sein, sie ersetzt jedoch nicht die pos- tendodontische Röntgenkontrollauf- nahme, weil bei der Endometrie die Überfüllung nicht festgestellt werden kann [Singh, 2016]. Ist es zu einer Überextension gekommen, ist eine sofortige dreidimensionale Bild- gebung zur Beurteilung der in der Regel röntgenopaken Materialien zur detaillierten Diagnostik – inwieweit der Mandibularkanal betroffen ist – und zur chirurgischen Therapieplanung als sinnvoll einzustufen. Die Digitale Volumentomografie (DVT) bietet hier- bei eine schnelle und im Vergleich zur Computertomografie strahlungsärmere Alternative mit genauer Darstellung in allen drei Ebenen im Vergleich zur Panoramaschichtaufnahme [Bianchi et al., 2017; Gambarini et al., 2011; Tsompanides et al., 2014]. Aus therapeutischer Sicht bietet eine rechtzeitige chirurgische Entfernung des überstopften Materials in den ersten 48 bis 72 Stunden die beste Prognose [Bianchi et al., 2017; Castro et al., 2018]. Die Revision ist insbeson- dere angeraten, wenn sich neben der radiologischen Sicherung der Diagnose zusätzlich eine klinische Beschwerde- symptomatik beim Patienten – wie in diesem Fall – abzeichnet [Dalopoulou et al., 2017]. In der internationalen Literatur werden aber auch spätere Revisionen bis zu zwölf Monaten noch empfohlen [Biglioli et al., 2015; Kushnerev und Yates, 2015]. Allerdings ist zu erwarten, dass eine möglichst schnelle Entfernung des Materials durch die Begrenzung von Toxizität und Druck die bestmögliche Therapie darstellt. Die Therapie besteht im Wesentlichen aus einer Nervdekompression und der möglichst vollständigen Entfernung des eingebrachten Fremdmaterials [Biglioli et al., 2015]. Kleinere Über- füllungen lassen sich in der Regel durch Wurzelspitzenresektionen oder Zahnextraktionen in Lokalanästhesie Abb. 7: Klinische Darstellung nach Erweiterung der Resektionsstelle und Entfernung des Fremdkörpers regio 036 Abb. 8: Klinische Darstellung mit Lateralisation des N. mentalis und Entfernung des Sealers VELISSARIOS SMPONIAS Klink für Mund-, Kiefer- und Gesichts- chirurgie, Klinikum Dortmund gGmbH Münsterstr. 240, 44145 Dortmund Foto: privat 7a 7b 8a 8b | 81

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