Zahnärztliche Mitteilungen Nr. 17
zm 110, Nr. 17, 1.9.2020, (1578) Anspruchsberechtigt sind alle gesetzlich Versicherten, die einen Pflegegrad nach § 15 SGB XI besitzen oder Einglie- derungshilfe nach § 53 SGB XII bekommen. Außerdem werden Wohneinrichtungen Pflegeheimen gleichgestellt. ES ÖFFNETE SICH EINE TÜR ZU NEUEN MÖGLICHKEITEN „Mit dem Paragrafen 22a wurde die Tür zu neuen Möglich- keiten ein Stück weit geöffnet und ein Schritt in die richtige Richtung getan. Wie mit der Prophylaxe“, verdeutlicht Dr. Imke Kaschke, die seit 2009 den Bereich Medizin und Gesundheit der Sportorganisation Special Olympics Deutschland (SOD) leitet. Der Einsatz für Menschen im hohen Alter und mit Handicap ist aber längst nicht zu Ende. „Wir müssen das Konzept mit Blick auf die aktuellen Erkenntnisse und die vorhandenen Problemlagen weiterentwickeln, so dass auch mit therapeutischen Maßnahmen besonders Betroffene zielgenau erreicht werden können“, erläutert BZÄK-Vize- präsident Prof. Dr. Dietmar Oesterreich. Die zahnärztliche Behandlung dieser Patienten, die einen überdurchschnitt- lich hohen Mehraufwand – zeitlich, personell, instrumentell, apparativ – auslösen, sollte durch Honorarzuschläge gefördert werden, fordert er. „Hinsichtlich der Honorierung des Mehraufwands sind noch viele Forderungen offen“, bekräftigt Kaschke. „Zum Beispiel gibt es die Fluoridierung bis heute nicht.“ Zudem habe nicht jeder Patient mit Einschränkungen in seiner Umgebbung die Möglichkeit, angemessen zahnmedizinisch behandelt zu werden. Umgekehrt sei die mobile Behand- lung in den Pflege- und Seniorenheimen aufgrund der feh- lenden Ausstattung immer noch limitiert, das beginne schon mit der Kopflagerung. Maßnahmen zur Befund- ermittlung, wie Röntgenbilder, sind nach wie vor nur in der Praxis möglich. Darüber hinaus scheitert der spezielle Behandlungsraum oft am fehlenden Platz und am chro- nischen Zeitmangel des Personals. Die zahnmedizinische Versorgung für erwachsene Menschen mit Behinderungen ist laut Kaschke daher flächendeckend noch nicht sicher- gestellt. DEFIZITE BESTEHEN NOCH IN FORSCHUNG UND LEHRE Während die Grundversorgung vor Ort erfolgen sollte, gehört die spezielle Behandlung von Menschen mit Behinderung und Älteren nach Kaschkes Ansicht allerdings an die Kli- niken, wo Forschung und Ausbildung betrieben und eigene Daten ausgewertet werden. Interdisziplinär werde zum Thema bislang nur an der Universität Witten/Herdecke gearbeitet und geforscht. „Wissen und Know-how sind wichtig für den Behandlungserfolg. Leider gibt es keine obligaten Ausbildungsinhalte in der zahnmedizinischen Lehre in dem Zusammenhang“, bedauert sie. Auch der Vorsitzende der AG Zahnmedizin für Menschen mit Behinderung oder besonderem medizinischem Unter- stützungsbedarf, Prof. Dr. Andreas Schulte, setzt sich dafür STATEMENT PROF. OESTERREICH WIR WOLLEN DIESEN WEG WEITERVERFOLGEN! Es ist Zeit für Bilanz und Ausblick: Die Zahnärzteschaft hat die Möglichkeiten zur Versorgung von Pflegebedürftigen und von Menschen mit einer Beeinträchtigung in den vergangenen zehn Jahren deutlich verbessert. Diesen Weg wollen wir auch künftig weiter verfolgen. Denn nachdem die Möglichkeiten der Prävention für Menschen mit einer Behinderung gestärkt wurden, sollten wir uns nun auf die Verbesserung der Konditionen für die Behandlung von Menschen mit „schweren und/oder komplexen Behinderungen“ konzentrieren. Präventionsleistungen nach § 22a SGB V allein genügen hier leider nicht. Es geht auch nicht nur um Schmerz- freiheit, sondern das Ziel muss der Erhalt einer lebenslangen Kaufunktion sein. Da herausnehmbarer Zahnersatz häufig kontraindiziert ist, muss zahnerhaltend gearbeitet werden. Hierfür müsste es entsprechende Anreize geben. Denn es gilt auch, dem überdurchschnittlich hohen Mehraufwand (zeitlich, personell, instrumentell, apparativ) bei der Behandlung von Patientinnen und Patienten mit schweren und/oder komplexen Behinderungen Rechnung zu tragen. Ganz pragmatisch könnte man sich dazu auf den zahlenmäßig überschaubaren Personen- kreis mit „schweren und/oder komplexen Behinderungen“, deren Anspruchsberechtigung sich aus den Zieldiagnosen für MZEB ableiten ließe (Zielgruppe lt. § 119c MZEB SGB V), konzentrieren. Und auch die anästhesiologische Versorgung für Menschen mit Behinderung ist nach wie vor nicht zufriedenstellend gelöst, denn die unzureichende Vergütung der Anästhesisten limitiert die zahnärztliche Behandlungsdauer und die zahnärztlichen Therapiemöglichkeiten in Vollnarkose. Die BZÄK hat beide Problemfelder in einem Gespräch mit dem Bundesbehinderten- beauftragten, Jürgen Dusel, im Juli besprochen. Dabei wurde auch das Thema Barrierefreiheit in allen gesellschaftlichen Bereichen für Menschen mit Behinderungen adressiert. Wir wollen den Anspruch, die Mundgesundheit aller Menschen über den gesamten Lebensbogen hinweg zu fördern und zu verbessern, weiterverfolgen. Die Erfolgsgeschichte unseres Konzepts „Mundgesund trotz Handicap und hohem Alter“ zeigt, dass es trotz Widerständen gelingen kann, entscheidende Impulse für die Weiterentwicklung der Versorgung zu setzen. Prof. Dr. Dietmar Oesterreich ist Vizepräsident der Bundeszahnärztekammer. 16 | POLITIK
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