Zahnärztliche Mitteilungen Nr. 17
zm 110, Nr. 17, 1.9.2020, (1596) Wirkungseintritt auf als die antidepres- sive Wirkung. Dies untermauert die Theorie, dass die analgetische Wirkung einem anderen Mechanismus unter- liegt als die antidepressive Wirkung. Anticholinerge Effekte können sich klinisch als Appetitlosigkeit, Obstipa- tion, Tachykardie, Harnretention und Xerostomie bemerkbar machen [Thiwan et al., 2009]. Am häufigsten kommt es zu diesen Nebenwirkungen bei Amitriptylin. Im schlimmsten Fall kann das zu einem „anticholinergen Syndrom“ führen, ein ernst zu neh- mender internistischer Notfall, der sich klinisch unter anderem durch Symp- tome wie Mydriasis, Diaphorese, Hyper- tonie und Hypersalivation präsentiert [Moore et al., 2015]. Des Weiteren gehören Sedierung und Antriebsschwäche zu den wichtigsten zentralnervösen Effekten unter der Einnahme von TCA wie Amitriptylin und Doxepin [Leucht et al., 2012]. Diese beruhigende Wirkung kann zu einer Potenzierung von zahnärztlich verab- reichten Sedativa, einschließlich Lach- gas, führen. Eine TCA-bedingte Herab- setzung der Krampfschwelle kann das Risiko für epileptische Anfälle erhöhen. Vorsicht ist ebenfalls geboten, wenn große Dosen an Lokalanästhetika für zahnärztliche Eingriffe eingesetzt werden. Die TCA können das bei- gemischte Katecholamin verstärken und zu gefährlichen Blutdrucksteige- rungen führen [Goulet et al., 1992]. Kardiovaskuläre Effekte von TCAs umfassen die orthostatische Hypot- onie, Tachykardie und Arrhythmien. Die Orthostase wird bedingt durch die postsynaptische alpha-adrenerge Blockade, während die Tachykardie auf die Noradrenalin-Wiederaufnahme- hemmung zurückgeführt werden kann. Patienten, die kontinuierlich über eine längere Zeit mit TCA behandelt wer- den, zeigen häufig eine gewisse Tole- ranz gegenüber Nebenwirkungen wie orthostatischer Hypotonie, Xerostomie, Tachykardie und verschwommenem Sehen. Ein plötzliches Absetzen kann gegenteilige Symptome wie zum Beispiel Rhinorrhoe, unspezifische Schmerzen, Schüttelfrost und Unwohl- sein auslösen. Selektive Serotonin- Wiederaufnahmehemmer (SSRI) SSRI sind die am weitesten verbreiteten Antidepressiva zur Behandlung von leichten bis mittelschweren Depres- sionen, Zwangsstörungen, Panikstö- rungen, sozialen Phobien und post- traumatischen Belastungsstörungen [Papakostas, 2008]. SSRI hemmen die Wiederaufnahme von Serotonin, führen zu einer Downregulation der postsynaptischen serotonergen Rezep- toren und einer Verringerung der pro- inflammatorischen Zytokine im ZNS, die bei depressiven Erkrankungen eine Rolle spielen [Wiedlocha et al., 2018]. Nebenwirkungen sind Unruhe, Kopf- schmerzen, Schlaflosigkeit, Übelkeit, Durchfall und sexuelle Dysfunktion. Im Gegensatz zu TCA beeinflussen SSRI weder die Anfallsschwelle noch verändern sie die Reizleitung im Herzen [Warrington, 1992]. In Studien konnte keine analgetische Wirkung belegt werden, weshalb diese Substanz- gruppe nicht zur Therapie chronischer Schmerzpatienten eingesetzt wird [Finnerup et al., 2015; Finnerup et al., 2010]. Im Unterschied zu anderen Anti- depressiva haben SSRI nur geringe anticholinerge Eigenschaften und füh- ren in geringerem Maß zu Müdigkeit oder orthostatischer Hypotonie. Wäh- rend es bei der Einnahme von TCA oft zu einer unangenehmen Gewichts- zunahme kommt, bewirkt die Dauer- einnahme von SSRI eher eine Gewichtsreduktion [Dolfing et al., 2005]. Trotzdem beklagen Patienten auch bei Einnahme von SSRI Müdig- keit und Erschöpfung. Zu den häufigen unerwünschten anderen Wirkungen zählen sexuelle Dysfunktion, Xerosto- mie und Tremor [Cascade et al., 2009]. Bei Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen kann es in den ersten Monaten der Einnahme zu Selbstmordgedanken kommen, so dass dieser Patientengruppe besondere Beachtung geschenkt werden muss. Das schnelle Absetzen kann Entzugs- erscheinungen wie Reizbarkeit, Schlaf- losigkeit, grippeähnliche Symptome, Übelkeit, Myalgien, Parästhesien, Schwindel und Sehstörungen aus- lösen. Überdosierungen von SSRI sind im Gegensatz zu TCA selten tödlich [Nutt, 2003]. Serotonin-Noradrenalin- Wiederaufnahmehemmer (SNRI) Die SNRI hemmen, wie TCA, die Wie- deraufnahme von Serotonin und Nor- adrenalin im synaptischen Spalt und führen, gleichsam den SSRI, ebenfalls zu einer Abnahme der proinflammato- rischen Zytokine im ZNS [Galecki et al., 2018]. Nebenwirkungen sind Angst, Sedierung, Übelkeit, Schlaflosig- keit, Tachykardie, sexuelle Dysfunktion und anticholinerge Symptome, ein- schließlich Xerostomie und Obstipa- tion. Oftmals können diese Symptome verstärkt bei Therapiebeginn auftreten [Santarsieri et al., 2015]. Auch Tachy- kardie und Hypertonie sind wegen der Foto: AdobeStock_TanyaJoy Antidepressiva interagieren häufig mit Vasokonstriktoren, daher sollte der Adrenalinzusatz in der Lokal- anästhesielösung nach Möglichkeit begrenzt werden. DR. MED. FRANK G. MATHERS Institut für dentale Sedierung Dr. Frank G. Mathers Goltsteinstr. 95, 50968 Köln Foto: privat
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