Zahnärztliche Mitteilungen Nr. 17

zm 110, Nr. 17, 1.9.2020, (1600) Sympathikusaktivierung bei Patienten unter MAO-Hemmer-Therapie erklä- ren. Übertragen auf den Zahnarzt be- deutet dies, dass dieser hier im Einzel- fall den bestmöglichen Mittelweg zwischen einer geringen endogenen Katecholaminfreisetzung durch eine suffizient applizierte Lokalanästhesie und der zu erwartenden Belastung durch exogen zugeführte Katecholamine in der Lokalanästhesielösung finden muss [Goulet et al., 1992]. Blutungen und Antidepressiva Patienten, die SSRIs und SNRIs einneh- men, können durch die Reduzierung des thrombozytären Serotoninspiegels zu Blutungen neigen [Targownik et al., 2009; Maurer-Spurej et al., 2004]. Dieser antithrombozytäre Effekt kann die erhöhte Blutungsneigung bei der gleichzeitigen Einnahme von nicht- steroidalen Antirheumatika (NSAR) noch verstärken. Gleiches gilt bei Ein- nahme von oralen Antikoagulanzien wie Marcumar oder einem neuen Anti- koagulanz (NOAKs) [Lopponen et al., 2014; Teles et al., 2012; Teichert et al., 2011]. SSRIs können zudem die Meta- bolisierung von NSAR hemmen, wo- durch deren Plasmaspiegel und damit das Risiko für gastrointestinale Blutun- gen steigt. Ursächlich hierfür ist die Inhibition der Metabolisierung von CYP-2C9 durch SSRI wie Paroxetin, Sertralin und Fluvoxamin oder NSAIDs wie Ibuprofen, Naproxen, Diclofenac und Celecoxib [Lam et al., 2002]. PATIENTENMANAGEMENT IN DER ZAHNARZTPRAXIS Zahnärztliche Sedierung Alle Patienten, insbesondere solche mit Stimmungsstörungen, können vor zahnärztlichen Eingriffen vermehrt Angst haben. Die zahnärztlich geführte Sedierung kann hier die komplikations- trächtige endogene Katecholamin- freisetzung minimieren und gleich- zeitig eine angenehmere Behandlung ermöglichen. Entsprechend qualifizierte Zahnärzte greifen hierzu – aufgrund des günstigen Nebenwirkungsprofils – oftmals auf die Lachgasanwendung zurück. Der beruhigende Effekt von Lachgas wird durch die sedierenden Antidepressiva verstärkt. Darüber hin- aus sind keine weiteren Interaktionen zwischen Lachgas und den Antidepres- siva zu befürchten. Orale Benzodiaze- pine werden ebenfalls häufig, mit oder ohne zusätzliche Lachgasanwendung, eingesetzt. Dabei muss bedacht wer- den, dass die zusätzliche Anwendung sedierender Antidepressiva eine Wir- kungspotenzierung bewirken kann. Die Entscheidung, Antidepressiva vor einem zahnärztlichen Eingriff abzu- setzen oder deren Einnahme ohne Unterbrechung fortzuführen, muss im Einzelfall sorgfältig geprüft werden. Es gilt zwischen den möglichen Entzugserscheinungen und/oder der Symptomaggravation der psychiatri- schen Erkrankung auf der einen Seite und dem Risiko der Wechselwirkungen auf der anderen Seite abzuwägen. We- gen der zu erwartenden, protrahierten Wirkung der Antidepressiva wird in der Regel empfohlen, die laufende Medikation beizubehalten und ein wachsames Auge auf mögliche Inter- aktionen zu haben. Lokalanästhesie Bei der Anwendung von Vasokonstrik- toren ist Vorsicht geboten, da sie am adrenergen Rezeptor mit Anti- depressiva interagieren können. Falls nicht gänzlich auf sie verzichtet wer- den kann, sollte die applizierte Menge möglichst auf zwei Karpullen je 1,7ml begrenzt werden [Keskitalo und Persson, 1975]. Diese Empfehlung gilt in erster Linie für Patienten, die TCA einnehmen und weniger für Patienten, die unter einer SSRI-Dauertherapie stehen. Auswirkungen auf die orale Gesundheit Unter laufender SSRI-Therapie sollten nach der Zahnbehandlung Schmerz- medikamente aus der Gruppe der nichtsteroidalen Antiphlogistika (NSAR, zum Beispiel Ibuprofen, Napro- xen, Diclofenac) vermieden werden. Der Grund hierfür ist, dass die Blut- plasmaspiegel beider Pharmaka an- steigen und entsprechende Neben- wirkungen wie gastrointestinale Blutungen verursachen können [Anglin et al., 2013]. Alternativ kann Metamizol zur Analgesie eingesetzt werden. Antidepressiva können die Ursache oromandibulärer Dyskinesien (Tardive Dyskinesien, Spätdyskinesien), Zahn- schäden sowie intraoraler Verletzungen sein [Girard et al., 2012]. Nächtliches Zähneknirschen ist eine bekannte Be- gleiterscheinung der TCAs und SSRIs. Okklusionsschienen können deshalb bei manchen Patienten indiziert sein [Garrett und Hawley, 2018; Rajan und Sun, 2017]. Gegen die häufig beklagte Mund- trockenheit sollte der Zahnarzt ent- sprechende Therapieempfehlungen wie zum Beispiel häufiges, schluck- weises Trinken, künstlichen Speichel, Fluoridierung und die Begrenzung des Alkoholkonsums aussprechen. Unter der Einnahme von SSRI wird Xerosto- mie am wenigsten von Patienten be- klagt [Cappetta et al., 2018]. FAZIT Die Inzidenz psychischer Erkrankungen nimmt zu, wodurch sich weitreichende Auswirkungen auf die orale Gesund- heit ergeben. Stress, psychische Belas- tung oder Depressionen können – insbesondere bei vorbestehenden gingivalen und parodontalen Erkran- kungen – zur Destruktion oraler Hart- und Weichgewebe führen. Direkt und indirekt führen diese Erkrankungen respektive deren pharmakologische Therapie zu Zähneknirschen, Mund- trockenheit und reduzierter Mund- hygiene. Auch der gesteigerte Sucht- mittelkonsum spielt hierbei eine Rolle. Die medikamentöse Therapie dieser psychischen Erkrankungen geht mit erheblichen Nebenwirkungen einher. Zahnärztlich angewendete Pharmaka, primär Lokalanästhetika mit Vasokon- striktoren, können erhebliche Inter- aktionen mit den häufig angewendeten Psychopharmaka verursachen. Vertiefte Kenntnisse in der Psychopharmako- logie können dazu beitragen, diese Risiken zu minimieren. \ ZM-LESERSERVICE Die Literaturliste kann auf www.zm-online.de abgerufen oder in der Redaktion angefordert werden. 38 | ZAHNMEDIZIN

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