Zahnärztliche Mitteilungen Nr. 17

zm 110, Nr. 17, 1.9.2020, (1570) RASSISMUSDEBATTE EIGENE ROLLE REFLEKTIEREN Zum Beitrag „Dentists on bikes: 2 Zahnärzte, 2 Motorräder, 14.000 km“, zm 13/2020, S. 78-79. Weltweit wird die längst überfällige Diskussion über strukturellen Rassismus in westlichen Gesellschaften und deren koloniale Vergangenheit geführt. Und Sie drucken einen Reisebericht von zwei Deutschen, die von den kolonial geprägten Strukturen schon ihr ganzes Leben profitieren und dies im Text nicht im Geringsten reflektieren. Ein Reisebericht, in dem von einer „Mundgesundheitsmission“ die Rede ist, bei der man sich als Heilsbringer stilisiert, indem man einfach spontan „auf den Schulhof knatter(t)“, um den dort lebenden Kindern Zahnputz- unterricht zu geben. Man stelle sich vor, dieselbe Szene spiele sich an einer deutschen Grundschule ab. Ein Reisebericht, in dem man das schon so oft von weißen Menschen geäußerte Klischee der „Fröhlichkeit“ der in Afrika lebenden Menschen trotz ärmlichster, „für uns unvorstellbar(er)“ Lebensumstände lesen muss. Aber: Wie erfreulich, „keiner bettelt“! Ein Foto zeigt Frau Dr. Jana Schutte im Gespräch mit einem Häuptling der Massai, dessen Namen nicht erwähnt wird. Wäre er Bürgermeister einer deutschen Kleinstadt, hätte man doch wohl auch seinen Namen erfragt. Er wird genau wie die Kinder zum Statisten im „Lebenstraum“ der beiden Protagonisten. Verständlich ist der Wunsch, etwas Gutes zu tun mit dem Beruf, den man erlernt hat, in Ländern, in denen Zahnmedizin ein Luxusgut ist. Doch muss man sich ernsthaft die Privilegien klar- machen, die man als weißer Mensch im postkolonialen, rassis- tischen System bereits hat und sich aufrichtig die Frage stellen, ob man von einer solchen Reise nicht mehr profitiert als die, denen man helfen möchte. Seine eigene Rolle und Haltung gegenüber Schwarzen Menschen zu reflektieren, ist Aufgabe für jeden weißen Menschen. Empfehlenswerte Literatur dazu bieten unter anderem die Bücher von Alice Hasters und Tupoka Ogette. Dr. Jan Goldstein, Berlin Anmerkung: Schwarz wird in diesem Beitrag groß und weiß kursiv geschrieben, um zu verdeutlichen, dass damit keine biologische Eigenschaft und keine reelle Hautfarbe gemeint ist, sondern eine politische und soziale Konstruktion. Mit Weiß- Sein ist die dominante und privilegierte Position innerhalb des Machtverhältnisses Rassismus gemeint, während Schwarz-Sein eine von Rassismus betroffene gesellschaftliche Position beschreibt. (https://www.amnesty.de/2017/3/1/glossar- fuer-diskriminierungssensible-sprache) ANMERKUNGEN DER ZM-REDAKTION ZUM LESERBRIEF VON DR. JAN GOLDSTEIN Die Redaktion teilt den in dem Leserbrief von Dr. Goldstein geäußerten Vorwurf nicht, mit dem genannten Artikel strukturellen Rassismus zu befördern. Den Autoren vorzuwerfen, sie würden ihre – nicht näher benannten – Privilegien ausnutzen, um durch eine derartige Reise vor allem selbst zu profitieren, wird deren Engagement aus unserer Sicht nicht gerecht. Gleichwohl haben wir den Leserbrief zum Anlass ge- nommen, die Art der Berichterstattung über humanitäre Einsätze von Zahnärztinnen und Zahnärzten intensiv zu diskutieren. Humanitäre Einsätze finden in sehr unterschiedlichem Rahmen statt – sie werden teils von Organisationen mit größerer personeller und finan- zieller Ausstattung durchgeführt, teils von einzelnen Menschen aus persönlichem Engagement heraus. Diese Bandbreite wollen wir in den zm abbilden. Die unterschiedlichen Rahmenbedingungen bedeuten aber auch, dass die Nachhaltigkeit des Engagements je nach Einsatz unterschiedlich ausfallen kann. Das kann man den handelnden Zahnärztinnen und Zahnärzten nicht zum Vorwurf machen. Denn dies führt zum entscheidenden Punkt: Sie handeln – und wir berichten darüber. Wir werden in Zukunft unsere Berichterstattung noch stärker hinterfragen als bisher. Einig sind wir uns zudem, dass wir Aktionen, die erkennbar vor allem unter reinen PR- und Selbstmarketing-Gesichtspunkten durchgeführt wurden, weiterhin kein Forum bieten möchten. Das Gleiche gilt für Berichte, in denen subjektiv-touristisch geprägte Aspekte im Vordergrund stehen. Darüber hinaus werden wir künftig verstärkt mit Experten das Umfeld der humanitären Hilfe in den jeweiligen Ländern beleuchten. Die Redaktion Foto: Federico Rostagno – stock.adobe.com Leserforum

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