Zahnärztliche Mitteilungen Nr. 18

zm 110, Nr. 18, 16.9.2020, (1710) ZM-SERIE: TÄTER UND VERFOLGTE IM „DRITTEN REICH“ Hans Fliege – früher Nationalsozialist und Denunziant Dominik Groß Hans Fliege (1890–1976) gehört zu den wenigen zahnärztlichen Hochschullehrern, denen es nach 1945 nicht mehr gelang, an ihre Karriere anzuknüpfen. Der Beitrag schildert die Hintergründe dieses Bruchs und beschäftigt sich mit der Rezeption Flieges in der Bundesrepublik. 1 H ans Max Albert Fliege wurde am 7. Oktober 1890 in Zwickau, Sachsen, geboren. Er war der Sohn des ortsansässigen Dentisten Max Fliege, der ursprünglich eine Ausbildung zum Friseur absolviert, danach eine Dentistenschule besucht und schließlich eine Praxis etabliert hatte. 2 Fliege war bereits als Schüler im Labor des Vaters tätig und entwickelte so frühzeitig ein Interesse für den Zahn- arztberuf. Nach dem Abitur nahm er – ebenso wie sein jüngerer Bruder Helmut – das Studium der Zahnheil- kunde auf. 1912 schrieb er sich dazu an der Universität Kiel ein. Im August 1914 unterbrach er das Studium, um als „Kriegsfreiwilliger“ beim Infanterie- Regiment 133 beziehungsweise in einem Reservelazarett im heimatlichen Zwickau Dienst zu leisten. Doch Fliege zog sich eine Lungenerkrankung zu, die einen Aufenthalt in der Heilanstalt Grüna bei Chemnitz erforderlich machte. 1917 schied er aus dem Kriegsdienst aus. Im Wintersemester 1917/18 nahm er das Studium an der Universität Tübingen wieder auf, und im Frühjahr 1919 absolvierte er dort die zahnärztliche Prüfung. 3 IN NUR WENIGEN MONATEN BIS ZUM PROFESSOR Während Flieges Bruder die väterliche Praxis übernahm, blieb Hans Fliege an der Universität: Im Mai 1919 wurde er Assistent am Tübinger Zahnärztlichen Institut bei Hermann Peckert und im Juli 1920 promovierte er dort über die Nichtanlage des zweiten Prämolaren zum Dr. med. dent. 4 Im April 1921 wechselte er dann als Assistent ans Zahnärztliche Institut der Universität Marburg zu Hans Seidel. Im selben Jahr heiratete er die Chemnitzerin Susanne Staffel, eine Tochter des Sani- tätsrates Dr. Erich Staffel; sie brachte in den Folgejahren die gemeinsamen Kinder Erika, Ferdinand und Adolf zur Welt. 5 In Marburg fungierte Fliege als „Direk- toralassistent“ 6 und von Januar 1928 bis April 1934 als Oberassistent. Im Mai 1931 habilitierte er sich dort zum Themenfeld zahnärztliche Lokalanäs- thesie 7 und wurde zum Privatdozenten für Zahnheilkunde ernannt. Im August 1933 beging Flieges Vorgesetzter Seidel nach langjähriger Krankheit – Michel erwähnt ein „schleichendes inneres Leiden“ 8 – Suizid. Daraufhin übertrug man Fliege die Lehrstuhlvertretung. Mit Wirkung vom 1. Mai 1934 wurde Fliege dann planmäßiger Extraordi- narius als Nachfolger von Seidel, und bereits im Juli 1934 arrivierte er zum ordentlichen Professor – damit hatte er binnen weniger Monate einen Karrieresprung vom Oberassistenten zur höchsten professoralen Position, dem Ordinariat, vollzogen. 9 1938 begann Fliege ein berufsbeglei- tendes Zweitstudium der Medizin. Im Krieg leitete er dann das Teillazarett für Kiefer- und Gesichtsverletzte im Marburger Nibelungenhaus; späterhin war er auch für die Teillazarette Teuto- nen- und Fridericianerhaus zuständig. Trotz dieser Aufgaben konnte er 1941 die ärztliche Prüfung in Marburg absol- vieren. 1944 wurde Fliege in Luftwaf- fenlazarette in Italien beziehungsweise Norwegen abkommandiert. Dort war er zuletzt im Rang eines Oberfeldarztes tätig. 10 Hans Fliege – aus Michel (1959), S. 57. Das Bild entstammt aus einer nie als Buch veröffentlichten Dissertation von 1959. 1 Für die folgenden Ausführungen vgl. Wilkens (1987), passim; Auerbach (1979), 232; Aumüller (2001), 146–148, 251–256, 655, 719; Marburger Professorenkatalog (2020); Michel (1959), 56–65; 2 Die Dentisten stellten bis zum Anfang der 1940er-Jahre die Mehrheit der deutschen Zahnbehandler: Groß (2019), 38; 3 Wie Fußnote 1; 4 Fliege (1920); 5 Wilkens (1987), 6–8; 6 Fliege (1940), 792; 7 Fliege (1931); 8 Michel (1959), 56; 9 Wie Fußnote 1; 10 Wie Fußnote 1. 36 | GESELLSCHAFT

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