Zahnärztliche Mitteilungen Nr. 18

zm 110, Nr. 18, 16.9.2020, (1713) ZM-SERIE: TÄTER UND VERFOLGTE IM „DRITTEN REICH“ Erich Knoche – Hofzahnarzt in Gotha, Flucht nach Bolivien, Ehrenmitglied der DGKFO Thorsten Halling, Ursula Ebell, Matthis Krischel E rich Gunther Knoche, am 13. Juli 1884 als eines von fünf Geschwis- tern in eine jüdische Familie in Berlin geboren, verließ 1902 das dortige Köllnische Gymnasium mit Reifezeug- nis für Prima, um an der Berliner Uni- versität Zahnheilkunde zu studieren. Drei Jahre später, mit nur 21 Jahren leg- te er sein Staatsexamen ab. Im An- schluss besuchte er in Freiburg/Brsg. zwei Semester lang Vorlesungen zur Philosophie und den Naturwissenschaf- ten und bereitete sich daneben erfolg- reich auf die Ablegung der Reifeprüfung (1906) vor, die ihn später zur Aufnah- me eines Medizinstudiums berechtigen sollte. 2 Nach einer längeren Assistenten- zeit ließ sich Knoche zum Jahresbeginn 1909 in Gotha in eigner Praxis nieder, damals noch Residenzstadt des Herzog- tums Sachsen-Coburg und Gotha. Am 19. Juli 1911 erhielt Knoche als ei- ner der Letzten das Prädikat eines „Herzoglich Sächsischen Hofzahnarz- tes“. 3 Der Hofzahnarzt Knoche ging in Gotha einem damals sehr modernen Hobby nach: Er war Mitglied und ab 1920 Schriftführer 4 des Herzoglichen Automobilclubs, der sich dem Renn- sport verschrieben hatte. 5 HOFZAHNARZT MIT HOBBY AUTORENNSPORT Knoche wurde trotz seiner praktischen Tätigkeit schon bald wieder ein eifriger Student, 1915 nahm er in Jena ein Stu- dium der Medizin und Naturwissen- schaften auf. In einem Lebenslauf von 1919 berichtete er – immerhin mit dem Eisernen Kreuz zweiter Klasse aus- gezeichnet: 6 „Während des Krieges ha- be ich, soweit ich nicht zur Fortset- zung meiner Studien beurlaubt war, die zahnärztliche Abteilung des Reser- velazaretts Gotha geleitet.“ 7 An glei- cher Stelle gibt er „Vererbungslehre und Descendenztheorie“ als seine wichtigsten naturwissenschaftlichen Interessen an. 1939 hat er dann in ei- nem Fragebogen sogar als Beruf „Verer- bungswissenschaft u. Medizin“ ange- geben. 8 Bereits 1916 hatte Knoche in der Mo- natsschrift für Zahnheilkunde eine kurze Mitteilung mit dem Titel „Die Progenie in der Nachkommenschaft Goethes“ 9 veröffentlicht, 1919 promo- vierte ihn die Universität Jena zu die- sem Thema zum Dr. phil. 10 Auch wenn die Gutachten verhalten ausfielen („rite“), 11 stießen seine Überlegungen zur Erblichkeit der Progenie auf das zeit- genössische Interesse an degenerativen Aspekten auch in der Zahnheilkunde. 12 Knoches Arbeiten schafften es bis in die neuere Goetheforschung. 13 In den folgenden Jahren veröffentlich- te Knoche zahlreiche wissenschaftliche Studien, bevorzugt zur Orthodontie, 14 der Behandlung angeborener Gebiss- anomalien durch kieferorthopädische Maßnahmen, darunter beispielsweise zur Diagnose und Behandlung der Pro- gnathie. 15 Auch akademisch blieb er ehrgeizig: 1924 wurde er an der Uni- versität München zum Dr. med. dent. promoviert. Knoche entfaltete darüber hinaus eine umfassende Lehr- und 1 70. Jahrestag des Entzugs der Approbation der jüdischen Zahnärzte http://www.jahres tag-approbationsentzug.de/?page_id=58 [10.08.2020] 2 Universitätsarchiv Jena (UAJ) Best. M, Nr. 502, np. 3 Landesarchiv Thüringen – Staatsarchiv Gotha (StaatsAG) Best. 2–99–4006, Nr. 3785. 4 Allgemeine Automobil-Zeitung, 21 (1920), S. 17. 5 Zeyss, Edwin, Gotha: J. Perthes 1933. 6 StaatsAG Best. 2–99–4001, Nr. 1680. 7 UAJ Best. M, Nr. 502, np. 8 Zahn, 2013, S. 154. 9 Knoche 1916, S. 220–221. 10 Knoche, 1921 (zugl. Phil. Diss. Jena 1919) 11 Universitätsarchiv Jena (UAJ) Best. M, Nr. 502, np. 12 Vgl. Wündrich, 2000. 13 Ullrich, 2006, S. 167–187, hier: 185–186. 14 Knoche, 1925, S. 59–104. 15 Knoche, 1923. Quelle: privat, mit freundlicher Genehmigung von Irene Beer Dr. phil. Dr. med. dent. Erich Knoche (1884–1969), undatiert. Aus Anlass der 70-jährigen Wiederkehr des Approbationsentzugs für Ärzte und Zahnärzte, die unter die national- sozialistischen Rassengesetze fielen, ehrten in Bayern die KZV, die Landeszahnärztekammer und der Zahnärztliche Bezirksverband München Stadt und Land auch den Zahnarzt, Kieferorthopäden und Vererbungswissenschaftler Erich Knoche (1884–1969). 1 Zunächst Hofzahnarzt in Gotha, führte Knoche seit 1921 in München eine Praxis in bester Lage, verfasste zahlreiche wissenschaftliche Arbeiten und konnte sich zum Bekanntenkreis von Oswald Spengler und Thomas Mann zählen. Er gehörte zu den wenigen vertriebenen Zahnärzten, die nach Deutschland zurückkehrten und denen schon früh wieder große Wertschätzung entgegengebracht wurde.

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