Zahnärztliche Mitteilungen Nr. 18

zm 110, Nr. 18, 16.9.2020, (1714) Vortragstätigkeit. So entstanden aus Fortbildungskursen 1931 „Praktische Beiträge zur prothetischen Keramik“ als Teil der von Otto Walkhoff heraus- gegebenen Reihe Deutsche Zahnheil- kunde. 16 Beiträge lieferte er auch für ein weiteres Standardwerk der zeit- genössischen Zahnheilkunde, für das „Handwörterbuch der gesamten Zahn- heilkunde“ (1929–1931). 17 Auch insti- tutionell engagierte er sich für sein Spezialgebiet, unter anderem als Schrift- führer des deutschen Vorbereitungs- ausschusses für den 2. Internationalen Orthodontischen Kongress in London 1931. 18 Gustav Korkhaus (1895–1978) zählte Knoche in seinem Nachruf „zu den Pionieren der deutschen Kieferortho- pädie“. 19 Genau dieses Prädikat wird auch Korkhaus selbst gerne verliehen, auch wenn dessen Biografie aufgrund seiner aktiven Rolle im Nationalsozia- lismus inzwischen deutlich differen- zierter diskutiert wird. 20 Spätere Autoren übernahmen Korkhaus‘ „Ritterschlag“ für Knoche. 21 ZUM TEE IN DER SCHWEIZ BEI THOMAS MANN 1921, nach der Trennung von seiner ersten Frau, verließ Knoche Gotha – vielleicht in einem schicken Sport- wagen – und führte in München in der Brienner Str. 8, unmittelbar am Odeonsplatz und damit in bester Lage, eine Praxis für Zahn- und Kiefererkran- kungen mit eigenem Röntgenlaborato- rium. 22 Am 20. April 1922 heiratete er die aus einer angesehenen Wiener Medizinerfamilie stammende Ilse von Frankl-Hochwart (1892–1946). 23 Zu seinen prominenten Patienten ge- hörten, nach Aussage seiner dritten Frau Susanne (gesch. Beer, geb. Angress), „der ganze bayrischen Adel“, aber auch Philosophen und Schriftsteller wie Oswald Spengler (1880–1936), Bruno Frank (1887–1945) und Thomas Mann (1875–1955). 24 Mit Mann korrespon- dierte Knoche auch nach dessen Emi- gration. Dieser erwähnte ihn mehrfach in seinen Tagebüchern. Im September 1934 besuchte Knoche Mann in der Schweiz. 25 Der Schriftsteller notierte: „Zum Thee Dr. Knoche von München und Frau. Interessante Unterhaltung über die Lage in Deutschland.“ 26 Knoche berichtete ihm von Spenglers Begegnungen mit Hitler und Mussolini sowie Spenglers Einschätzung, dass der „Zusammenbruch des Regimes im Laufe des Winters“ zu erwarten sei. Während Mann, den literarisch die Faszination am Verfall mit Spengler verband, dessen Sympathien vor allem für den italienischen Faschismus ver- urteilte, 27 nahm Knoche noch 1944 in einem Brief an die Redaktion der Exil- zeitschrift „Deutsche Blätter“ Spengler in Schutz: „Ich habe grade (sic!) in den entscheidenden Jahren 1933 bis zu Spenglers Tod 1936 mich seines näheren Umgangs erfreuen dürfen und bin auf Grund vielfacher politischer Gespräche mit ihm der Ueberzeugung, dass sowohl seine Geschichtsauffas- sung wie besonders seine Einstellung zum Nationalsozialismus ausser von seinen persönlichen Freunden unzu- treffend beurteilt wurde und wird.“ 28 Knoche bot der Schriftleitung einen „kurzen Aufsatz vor allem über seine [Spenglers] innere Beziehung zum Nationalsozialismus“ an. 29 Mitte der 1930er-Jahre wurde auch für die Familie Knoche der Alltag in Deutschland immer schwieriger, wie unter anderem die Polizeiakte seiner Frau Ilse, die bei Besuchen ihrer Eltern in Wien immer wieder mit Passproble- men zu kämpfen hat, verdeutlicht. 30 Mit den Nürnberger Rassegesetzen wurde auch sie als jüdisch klassifiziert. Spätestens mit dem „Anschluss“ Öster- reichs lebte sie wieder in München. Knoche hatte seine Auswanderung erst nach der Reichspogromnacht im Jahr 1938 forciert. Mithilfe des befreundeten Bildhauers Josef Erber (1904–2000) konnte sich Knoche ver- stecken und der Haft in Stadelheim entkommen. 31 VON MÜNCHEN NACH LA PAZ Der Entzug der Approbation zwang ihn, seine Praxis aufzugeben. Im Mai 1939 ließ sich Knoche in München katholisch taufen. Ein sogenanntes Besuchsprotokoll des Ehepaars Cohen, die ein Hilfsnetzwerk für Juden aus München etabliert hatten, aus dem August 1939 dokumentiert seine Be- mühungen um ein Visum für Bolivien. Bolivien gehörte zu diesem Zeitpunkt zu den letzten möglichen Fluchtzielen. „Bekommt er das bolivianische Visum nicht“, ist vermerkt, „so will er nur In- dien weiterverfolgen.“ 32 Sein jüngerer Bruder Fritz Alfred Knoche (1886–1942) war zuvor nach Holland geflohen. Er wurde dort 1942 interniert und in Auschwitz ermordet, ebenso wie ein 16 Knoche, 1931. 17 Kantorowicz, 1929–1931. 18 Zeitschrift für Stomatologie 29 (1931), S. 590. 19 Korkhaus, 1969, S. 389–390. 20 Groß, 2018:43–44. 21 Jäckle, 1988, S. 85–86; Schröck-Schmidt, 1996, S. 131. 22 Stadtarchiv München, Ärztekartei der jüdi- schen Abteilung, Mitteilung B. Schmidt an U. Ebell vom 22.12.2008. 23 Hecht, 2016, S. 48. 24 Schreiben Susanne Knoche-Andreß an Gers- hom Scholem vom 09.08.1976. 25 Wysling, 1998, S. 376 26 Mann, 1977, S. 518–519. 27 Beßlich, 2014, S. 113. 28 Schreiben Erich Knoche an die Schriftleitung der Deutschen Blätter vom 27. Juni 1944. 29 Ebd. 30 Zit. nach Hecht, 2016, S. 48. 31 Schreiben Erich Knoche an Josef Erber vom 23 08.1948. 32 Zahn, 2013, S. 155. Quelle: privat, mit freundlicher Genehmigung von Irene Beer Erich Knoche in seiner Zahnarzt- praxis in La Paz 40 | GESELLSCHAFT

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