Zahnärztliche Mitteilungen Nr. 18

zm 110, Nr. 18, 16.9.2020, (1724) PRAXISORIENTIERTE HANDLUNGSEMPFEHLUNG 1. Indikationsstellung Der zum Zeitpunkt der Indikationsstel- lung bestehende medizinische Status des Patienten hat einen maßgeblichen Einfluss auf die Erfolgsrate von Zahn- implantaten. Im Umkehrschluss muss berücksichtigt werden, dass die geplante Implantatinsertion die Gesundheit des Patienten nicht gefährdet [Hwang et al., 2006]. Somit sollte zunächst bei allen Patienten mit Indikation für dentale Implantate und einer Auto- immunerkrankung, Immundefizienz oder Immunsuppression das individuelle Implantatverlust- und Komplikations- risiko evaluiert werden. Primär sollte der Ausschluss eines akuten Status der Grunderkrankung sowie lokaler oder systemischer Kontra- indikationen erfolgen. Die weitere Therapieplanung sollte idealerweise im interdisziplinären Austausch (Internisten, Rheumatologen, andere fachspezifische Disziplinen) stattfinden. 2. Präoperative Vorbehandlung und Diagnostik Zur Reduktion des Infektionsrisikos und zur Sanierung bereits bestehender Infektionsherde sollten die hierzu not- wendigen Eingriffe vor Implantationen durchgeführt werden. Einen ersten Hinweis auf die Funktion des Immun- systems kann hierbei die Wundheilung geben. Neben der radiologischen Diagnostik sollten die ermittelten klinischen Be- funde, die mögliche Hinweise auf eine Kompromittierung der Weichgewebs- heilung, des Knochenumbaus oder der Knochenneubildungsrate geben, in die Risikoevaluation der Indikations- stellung einfließen. Die prothetische Evaluation (Prognose der Restbezah- nung, Benefit einer Pfeilervermehrung oder Tegumententlastung) erfolgt wie bei gesunden Patienten. 3. Implantatprognose Bezogen auf eine Nachbeobachtungs- zeit von mindestens 24 Monaten zei- gen die Literaturdaten, mit Ausnahme der Morbus-Crohn-Patienten, keine relevanten Unterschiede zu Patienten ohne Immunsuppression. 4. Augmentationsnotwendigkeit Kiefer-Augmentationen gehen mit er- höhten Anforderungen ans knöcherne Empfängergewebe einher. Bei Immun- suppression/Immundefizienz ist davon auszugehen, dass eine adäquate Im- munantwort des Empfängergewebes bei Wundheilung systemisch vermin- dert ist [Hartmann et al., 2016; Mitra, 2011; Okamoto et al., 2017]. 5. Aufklärung des Patienten Vor einer geplanten Implantatinsertion sollten immundefiziente Patienten zusätzlich zur Routineaufklärung über individuelle krankheitsbedingte Komplikationsrisiken (zum Beispiel schlechtere Implantatprognose bei Morbus-Crohn-Patienten) bis hin zum Implantatverlust aufgeklärt werden. Weiterhin sollte über die Dringlichkeit einer individuell-risikoadaptierten und strukturierten Nachsorge und deren mögliche Folgekosten aufgeklärt werden. 6. Perioperatives Management Die in den Studien beobachteten nied- rigen Komplikationsraten/Implantat- verlustrisiken wurden alle bei Patien- ten mit perioperativer systemischer Antibiotikaprophylaxe erreicht. 7. Implantatinsertion Sowohl sub- als auch transmukosale Einheilung ist möglich. Eine Empfeh- lung, welche Einheilung zu bevor- zugen ist, kann aus der Literatur nicht abgeleitet werden. Da die Knochen- umbau- und die Neubildungsrate unter Immunsuppression verringert sind, ist eine Sofort- oder Frühbelas- tung kritisch zu bewerten; gleiches gilt für die Sofortimplantation. 8. Prothetische Versorgung Bezüglich der individuellen prothetischen Versorgung der Patienten mit Immun- defizienz oder Immunsuppression gibt es in der Literatur keine belastbaren Daten. Vor dem Hintergrund erhöhter Anforderungen an das periimplantäre Weichgewebe aufgrund des nicht adä- quat funktionierenden Immunsystems sollten prothetische Konzepte mit guter Hygienefähigkeit und gegebenenfalls eine tegumentale Entlastung ange- strebt werden. 9. Nachsorge Ein wesentlicher Aspekt der langfristig erfolgreichen Implantattherapie ist die regelmäßige Nachsorge. Bezogen auf Patienten mit Immundefizienz sollte diese individuell und unter Be- rücksichtigung der Grunderkrankung festgelegt und regelmäßig durch- geführt werden. Weiterhin erscheint es ratsam, Patienten während akuter Phasen der Immundefizienz zusätzlich nachzuversorgen. \ PROF. DR. MED. DR. MED. DENT. KNUT A. GRÖTZ Kiefer- und plastische Gesichtschirurgie in der Burgstrasse, Tagesklinik für MKG-Chirurgie, plastische Operationen Prof. Dr. Dr. Grötz, Dr. Dr. Kleis, PD Dr. Dr. Moergel & Kollegen Burgstr. 2-4, 65183 Wiesbaden und Klinik für Mund-, Kiefer- und Gesichts- chirurgie, HELIOS Dr. Horst Schmidt Kliniken Wiesbaden, Akademisches Lehrkrankenhaus Universitätsklinikum Mainz Ludwig-Erhard-Str. 100, 65199 Wiesbaden Foto: Bostelmann ZM-LESERSERVICE Die Literaturliste kann auf www.zm-online.de abgerufen oder in der Redaktion angefordert werden. 50 | ZAHNMEDIZIN

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