Zahnärztliche Mitteilungen Nr. 18

zm 110, Nr. 18, 16.9.2020, (1739) Sinne einer Evidenz-Graduierung oder auch Gewichtung und Synthese von Studienergebnissen erfolgte nicht, da es sich um eine S2k-Leitlinie handelt. Konkret aktualisiert und präzisiert die Leitlinie den Stand der Kenntnisse und Empfehlungen insbesondere zu folgen- den Aspekten: \ Klassifikation potenziell maligner oraler Läsionen unter Berücksich- tigung der aktualisierten WHO- Klassifikation von 2017 \ Sonderstellung der proliferativen verrukösen Leukoplakie \ Definition der „verdächtigen“ Läsion unter Beschreibung klinischer Hinweise auf eine maligne Transformation \ Konkrete Benennung der Unter- suchungen, deren Stellenwert nicht durch belastbare Studien- daten gesichert ist \ Topische Kortikoid-Therapie des Lichen ruber mucosae, insbesondere intraläsionale Therapie \ Empfehlungen Der Stand der Forschung und die Ent- scheidungsgrundlagen der Empfeh- lungen wurden – wie in der Vorgänger- version – erneut in Form von Hinter- grundtexten erläutert, die in der Lang- version der Leitlinie enthalten sind. Diese Texte werden hier zur Information wiedergegeben, da sie auch die Bezüge zur maßgeblichen Literatur herstellen. KLASSIFIKATIONEN POTENZIELL MALIGNER ORALER LÄSIONEN In der aktuellen WHO-Klassifikation der Kopf-Hals-Tumoren von 2017 [El- Naggar et al., 2017] wird nun wieder vorrangig die Einteilung in Dysplasie- grade verwendet. Der Begriff der intra- epithelialen Neoplasie (englisch: Squa- mous Intraepithelial Neoplasia, abgekürzt: SIN) wird allerdings weiter- hin synonym auf potenziell maligne orale Läsionen (vorher: orale Vorläufer- läsionen) des Plattenepithelkarzinoms angewandt. Damit bleibt der potenziell neoplastische Charakter der Läsionen auch in der Nomenklatur abgebildet. Im folgenden Text wird nach der WHO-Klassifikation [2017] einheitlich der Begriff der „potenziell malignen oralen Läsionen“ anstelle der „Vor- läuferläsion“ und ansonsten sehr unterschiedlichen Bezeichnungen (Präkanzerose, präkanzeröse Läsion, potenziell maligne Läsion, Precursor- läsion et cetera) verwendet. Im Vergleich zur früheren Version der WHO-Klassifikation wird nun eine Reduktion der Dysplasiegrade auf eine binäre Einteilung neu eingeführt. Letztlich werden danach die traditio- nellen drei Dysplasiegrade auf eine „low grade“- und eine „high grade“- Gruppe reduziert, was im Wesent- lichen der klinischen Risikobewertung entspricht und sich bereits in der Auf- teilung in eine „low risk“- und eine „high risk“-SIN ankündigte. In der frü- heren Nomenklatur beinhaltete die hochgradige intraepitheliale Neoplasie (SIN 3) das Carcinoma in situ früherer Klassifikationen (Karzinomrisiko von 90 Prozent) [British Dental Association, 2020; Royal College of Surgeons of England, 1994; Macfarlane et al., 1992; Wolff et al., 2012] (Tabelle 1). PROLIFERATIVE VERRUKÖSE LEUKOPLAKIE Die proliferative verrucöse Leukoplakie (PVL) nimmt eine Sonderstellung ein, da hier der morphologische Dysplasiegrad nicht mit dem klinischen Gefährdungs- potenzial korreliert. Obwohl bei der PVL typischerweise niedrige Dysplasiegrade gefunden werden oder eine Dysplasie gänzlich fehlen kann, ist bei dieser Enti- tät mit einer besonders hohen malignen Transformationsrate (um 70 Prozent) und einer konsekutiv hohen tumor- bezogenen Mortalität zu rechnen. PROF. DR. DR. MARTIN KUNKEL Klinik für Mund-, Kiefer- und Gesichts- chirurgie, Universitätsklinikum Knapp- schaftskrankenhaus Bochum In der Schornau 23–25, 44892 Bochum Foto: privat ÜBERSICHT 1: SYNOPSIS DER KLASSIFIKATIONEN POTENZIELL MALIGER ORALER LÄSIONEN WHO 2017: Dysplasien - Geringgradige Dysplasie (low grade) Mäßiggradige Dysplasie (high grade) Hochgradige Dysplasie (high grade) Carcinoma in situ Invasives Karzinom Tab. 1, Quelle: Hertrampf und Kunkel [nach Driemel et al., 2006; El-Naggar et al., 2017; Gale et al., 2005; Van der Waal, 2009] WHO 2005: Dysplasie Squamöse Hyperplasie Geringgradige Dysplasie Mäßiggradige Dysplasie Hochgradige Dysplasie Carcinoma in situ Invasives Karzinom Ljubljana-Klassifikation squamöser intraepithelialer Läsionen (SIL) Squamöse (einfache) Hyperplasie Basale und parabasale Hyperplasie Atypische Hyperplasie (Risikoepithel) Carcinoma in situ Squamöse intraepitheliale Neoplasie (SIN) - SIN I SIN II SIN III Squamöse intra- epitheliale Neoplasie (SIN) reduziert SIN: Geringes Risiko SIN: hohes Risiko | 65

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