Zahnärztliche Mitteilungen Nr. 19
zm 110, Nr. 19, 1.10.2020, (1827) Invasive Interventionen Tab. 1: Konsensus-Empfehlungen der European Organisation for Caries Research (ORCA) und der European Federation of Conservative Dentistry (EFCD/DGZ) zum Management frühkindlicher Karies: Es wird die Evidenzstärke (schwach, moderat, hoch) und die Zustimmung der Konsensusgruppe zu den Statements (von 0 [stimme gar nicht zu] bis 10 [stimme voll zu]) angegeben. Ein Votum von 7–10 wurde als Zustimmung gewertet; die prozentuale Zustimmung rundet nicht immer auf 100 Prozent. Zusätzlich wird der Median aller Voten (0–10) angegeben. Quelle: ORCA, EFCD/DGZ. Aufgrund der oft persistierend hohen Kariesaktivität bei Kindern, multiplen Läsionen und begrenzter Kooperation sollte das Kariesmanagement bei diesen Kindern aus sicheren Maßnahmen mit hoher Erfolgsrate einschließlich Extraktion bestehen, da auch weiter niedrige Adhärenz erwartet werden kann. Dies betrifft insbesondere die Behandlung unter Vollnarkose. Aufgrund der hohen Versagensrate von Restaurationen in der Oberkieferfront bei Kindern mit schwerer ECC und der der fehlenden Platzhalterfunktion kann die Extraktion von Oberkieferfrontzähnen eine gerechtfertigte Therapie darstellen. Ein Ersatz, insbesondere wenn fehlende Milchmolaren durch einen Lückenhalter ersetzt werden, kann erwogen werden, um ein adäquates orofaziales Funktionsmuster zu entwickeln. schwach schwach Zustimmung: 77 % neutral: 12 % Ablehnung: 8 %* Median: 8 Zustimmung: 71 % neutral: 20 % Ablehnung: 8 %* Median: 8 gesetzt werden. Daher betonen die Konsensusempfehlungen, dass ein zukünftiger Fokus bei Prävention und Therapie besonders auf jene Kinder gelegt werden sollte, die aus niedrigen sozialen Schichten kommen und noch nicht vom Kariesrückgang profitiert haben (Tabelle 1).In der Individual- und in der Gruppenprophylaxe stehen hierfür evidenzbasierte Ansätze zur Verfügung, unter anderem das regel- mäßige Zähneputzen mit einer aus- reichend fluoridhaltigen Zahnpaste (≥ 1.000 ppm Fluorid) möglichst vom ersten Zahn an. PRIMÄR IM MILCHGEBISS IST NICHT DER ZAHNERHALT Da das Milchgebiss nur eine Über- gangsdentition darstellt, ist der Zahn- erhalt nicht das primäre Ziel, sondern der Erhalt oder die Wiederherstellung einer hohen Lebensqualität für die betroffenen Kinder. Weiterhin sollten die Kontrolle der Kariesaktivität, die Schmerzvermeidung und der Platz- erhalt im Vordergrund stehen. Außer- dem ist die Kooperation von Kindern bei der zahnärztlichen Behandlung oft begrenzt. Gerade bei den multiplen und schweren Defekten einer früh- kindlichen Karies sollten übergeordnete Faktoren wie die Absicherung eines funktionalen Gebisses, die therapeu- tischen Möglichkeiten (zum Beispiel einer Narkosesanierung), soziale, psy- chologische und finanzielle Parameter bei der Therapieplanung genauso berücksichtigt werden wie der Zer- störungsgrad der Zähne. So kann auch die Extraktion restaurationsfähiger Zähne aufgrund von übergeordneten Gründen indiziert sein – allerdings muss ein Lückenmanagement in der Stützzone sichergestellt sein. Für die Therapie der frühkindlichen Karies und für Karies im Milchgebiss (Abbildung 1) wurde eine systematische Literatursuche durchgeführt, diese mün- dete in einer Reihe von systematischen Übersichtsarbeiten [Schmoeckel et al., 2020; Santamaria et al., 2020]. Zur Arretierung beziehungsweise Inaktivie- rung von Dentinkaries konnte unter anderem für Silber(diamin)fluorid sowie für Fluoridlacke eine hohe Wirksamkeit nachgewiesen werden. Auch andere non-invasive Ansätze zur Kariesarretierung wie Zähneputzen mit fluoridhaltiger Zahnpaste (≥ 1.000 ppm, Abb. 2: Das Milchgebiss stellt eine Übergangsdentition dar und viele Kinder zeigen ein sehr begrenztes Kooperationsvermögen. Sowohl die Arretierung beziehungsweise Inaktivierung (l.) als auch Stahlkrone, Extraktion und Lückenhalter (r.) bieten sich an, während die konventionelle adhäsive Füllungstherapie komplex und bei hoher Kariesaktiviät kaum erfolgreich ist. Fotos: Christian Splieth a b PROF. DR. CHRISTIAN H. SPLIETH Leiter der Abteilung für Präventive Zahnmedizin & Kinderzahnheilkunde Universitätsmedizin Greifswald, Zentrum für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde Fleischmannstr. 42, 17475 Greifswald splieth@uni-greifswald.de Foto: privat | 45
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